Kaum zu glauben, aber mittlerweile bin ich schon einen Monat unterwegs "Auf den Schwingen des Geiers rund um die Welt". Bereits im Vorfeld hatten sich viele Stoffgeier angeboten mich auf meiner Reise zu begleiten. Nicht nur Geier aus meiner eigenen Kolonie, sondern auch Geier, die mir nette Freunde geschenkt haben. Aber wie könnte ich unter all den Geiern einen aussuchen, ohne dass die anderen traurig sind? Aus diesem Grunde wollte ich schweren Herzens eigentlich gar keinen mitnehmen. Kurz vor Abflug hat dann aber tatsächlich doch noch ein kleiner Geier als Abschiedsgeschenk meiner Mama den Sprung in meinen überfüllten Rucksack geschafft, nachdem er mir versprochen hatte, dass er sich jederzeit seine strahlendweiße Halskrause würde schmutzig machen, nur um einmal in seinem Geierleben um die Welt reisen zu können. Und da alle anderen Geier bereits in ihrem neuen Übergangsquartier eingezogen waren, konnten sie sich nicht kennenlernen und es fühlt sich hoffentlich niemand benachteiligt. Und so hat mir der kleine Geier auch sofort tapfer zwei Stunden lang die Flügel gehalten, während der Zug den Duisburger Hauptbahnhof Richtung Frankfurter Flughafen verließ und ich so langsam begriff, dass die große Reise tatsächlich begonnen hatte. Ihn störte es auch gar nicht, dass er von ettlichen Zugreisenden stirnrunzelnd angeglotzt wurde.
Vielleicht sollte ich den kleinen mal endlich vorstellen: Sein Name ist Travis (weil er einmal im Leben um die Welt reisen möchte, travel = reisen) und er ist ein kleiner, flauschiger Gänsegeier. Wenn ich mich entscheiden muss, dann sind Gänsegeier wohl meine Lieblingsgeier, weil ich vor allem mit dem prachtvollen Papa-Gänsegeier im Duisburger Zoo aufgewachsen bin. Auf meiner Reise werde ich zwar viele Geierarten bewundern können, aber Gänsegeier wohl eher nicht. Grund mehr dem kleinen Travis seinen großen Traum zu erfüllen und ihn mitzunehmen.
Während einer Woche Sprachschule in Atahualpa, Ecuador, hat Travis gerade mal gelernt, dass Geier auf Spanisch buitre (Plural buitres) heißen und hier in Ecuador seine großen Verwandten leben, Los Condores. Viel wichtiger waren ihm aber die Schnabel-Kraul-Einheiten, die ihm die beiden kleinen Mädchen der Sprachschul-Familie regelmäßig gaben. Er hat zwar kein Wort verstanden, was sie zu ihm sagten... außer bonito vielleicht... aber irgendwie konnte er ihnen erklären, dass er KEIN Geschenk an sie ist, sondern weiterreisen möchte.
Also ging es nach einer Woche weiter nach Zuleta, wo mein Volunteering-Projekt zum Schutz der majestätischen Andenkondore begann. Und ihr begleitet er mich nun seit dreieinhalb Wochen fast jeden Tag zur Arbeit, der Andenkondor-Voliere. Das Durchgang-Verboten-Schild stört ihn hierbei kaum, denn er kann jederzeit über den Zaun und durch die kleinen Maschen zu seinen neuen Freunden fliegen.
In dieser traumhaften Landschaft fühlen sich nicht nur Andenkondore wohl, sondern ganz offensichtlich auch Travis.Immer dabei sein bzw. mein Glücksstein, den mir die liebe Carmen zum Abschied geschenkt hat. Er soll Glück und Schutz auf Reisen bringen, also genau das, was Travis und ich gebrauchen können. Weil ihm den Stein so gut gefällt, darf er ihn gerne um seinen langen Geierhals tragen. Das Ausbrüten hat er mittlerweile aufgegeben, auch wenn der Stein so schön eiförmig ist.
Obwohl eigentlich Aasfresser, hat Travis (leider) seine Vorliebe für Grenadillas entdeckt. Sehr zu meinem Leidwesen, da ich die Dinger selber so gerne esse... aber wer kann diesem kleinen Geierchen denn einen Wunsch abschlagen!?
Ein wenig wehmütig wird Travis allerdings, wenn er die wilden Andenkondore über dem wunderschönen Tal kreisen sieht. Wie gerne hätte auch er so riesige Schwingen von 3,50 m Spannweite. Würden zwar nicht zum Rest seines Körpers passen, aber jeder hat sein eigenes Schönheitsideal... Wann immer ein wilder Kondor auftaucht, reckt er seine Flügel so weit es geht, um ihn zu beeindrucken.
Und wenn es mal wieder windstill bei den Kondoren ist und Unmengen fieser Mosquitos um uns herum schwirren und mich gnadenlos zerstechen, dann eilt mir Travis sofort zur Seite und hilft mit die Biester zu erlegen. An besonders schlimmen Tagen führt er sogar stolz eine Trefferliste, wenn er mal wieder mit seinen Flügeln "rein aus Versehen" ein paar Mosquitos zerquetscht hat.
Am Montag durfte Travis dann sogar mit zum Pferdeausflug. Vorher aber wollte er noch kurz ein Foto mit einem aufgemalten Andenkondor in Miniaturausgabe machen, damit er sich neben ihnen nicht immer so winzig vorkommt.
Travis wollte eigentlich sein eigenes Pferd aussuchen, aber leider gab es keine Sattel in seiner Größe. Daher machte er es sich wieder in meinem Rucksack bequem.
Armer Travis! Schon während des Ausritts hatte ich die schlimmsten Befürchtungen, dass der kleine in meiner Tasche anfängt zu reihern, bei all dem Geschunkel und Geschaukel. Der Kleine war tatsächlich so sehr auf seinen Mageninhalt aus frischem Aasbrei konzentriert, dass ihm nichtmal einfiel, dass er eigentlich besser neben dem Pferd hätte herfliegen können, statt sich all das Gewackel anzutun. Als ich ihn nach fünf Stunden dann endlich aus dem Rucksack befreite, war seine Halskrause schrecklich zerzaust und seine Federn standen in alle Richtungen ab. Der Schnabel hatte eine kleine Schramme und seine Krallen zitterten förmlich, als er endlich wieder festen Boden unter den Krallen hatte. Aber dennoch war er sehr glücklich, dass er mich bei diesem Abenteuer begleiten durfte. Er hatte mir ja versichert, dass er nicht zimperlich ist, solange er nur mit darf! Und ganz ehrlich, in den teils sehr kalten Nächten hier ist ein Geier zum Kuscheln schon was Feines, auch wenn es nur ein kleiner ist...
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