Zwar ist die Nacht recht kurz gewesen, aber die Vorfreude auf all die spannenden Vorträge hat die Müdigkeit schlagartig vertrieben. Außerdem war es klasse direkt beim Frühstück wieder mit Gleichgesinnten über das beste Thema von allen zu sprechen: Geier!
Inigo Fajardo aus Andalusien startete den zweiten Tag der Geierkonferenz mit einem traurigen aber faszinierenden Vortrag über die Analysemöglichkeiten von Wildtier-Verbrechen und Chancen zu deren Auflösung.
Ein bisschen musste ich dabei an meinen früheren "Kriminal-Artikel" CSI Beli denken, aber hier ging es leider um richtige Verbrechen an der Natur. Von sämtlichen Verbrechen an der Natur werden derzeit nur weniger als 5 % aufgeklärt. Eine schrecklich geringe Anzahl, wenn man bedenkt, wie die Natur gnadenlos illegal ausgebeutet wird.
Als in Andalusien ein Bartgeier tot aufgefunden wurde, startete eine gezielte, aufwendige Analyse. Zunächst wurde der Geier obduziert und es konnten Bleirückstände und Einschusslöcher festgestellt werden. Danach wurden Kaliber und Einschusswinkel analysiert, so dass Rückschlüsse auf die Position des Schützen und die Motivation der Tat geführt werden konnten. Da der Schütze offenbar auf einem Hügel gestanden hatte, wurde mit Hilfe von Google die Gegend rund um den Fundort untersucht. Dort gab es nur einen Hügel, der in Frage kam. Mit all diesen Beweisen wurde die Polizei informiert und ein Kriminalfall geöffnet. Schnell kam heraus, dass am Tag der Tat nur zwei Jäger in dieser Gegend unterwegs waren, die schnell ausfindig gemacht werden konnten. Ihnen war durchaus bewusst, dass es sich bei dem majestätischen Bartgeier um eine streng geschützte Tierart gehandelt hat. Auf diese Weise konnten bisher 21 von 26 untersuchten Geier-Kriminalfällen aufgeklärt werden, was einer Aufklärungsrate von 81 % entspricht.
Ich bin restlos begeistert, wie viele Leute sich so intensiv mit dem Tod eines einzigen Geiers beschäftigt haben und dafür gesorgt haben, dass die Täter gefasst wurden. Es mag vielleicht nur ein einzelnes Tier gewesen sein, aber ich finde es ist ein tolles Zeichen für den Geierschutz und eine super Motivation für uns alle weiterhin um jedes Geierleben zu kämpfen!
Besonders bewegend fand ich Inigos Aussage, dass er sich eigentlich nicht mit Kriminalfällen und der Polizei beschäftigen möchte, sondern am liebsten einfach nur den wilden Geiern am Himmel zuschauen und sie fotografieren möchte. Aber er erkennt auch, wie wichtig seine Arbeit ist und dass es einfach jemand tun muss, wenn wir noch weiterhin die Möglichkeit haben wollen wilde Geier am Himmel zu sehen!
Der nächste Hauptredner war André Botha, den ich bereits vor einigen Jahren zufällig bei VulPro in Südafrika getroffen hatte.
Sein Vortrag begann mit einem ergreifenden Video über die Afrikanische Geierkrise, das mittlerweile auch online verfügbar ist. Es fasst sehr gut zusammen, wie wichtig Geier für das Ökosystem und die Gesundheit der Menschen sind. Zeigt aber auch sehr deutlich, wodurch Geier bedroht sind und welche Probleme auf Mensch und Natur zukommen, wenn unsere Geier aussterben. Außerdem wurden einige erschreckende Zahlen genannt: In ganz Afrika ist der Bestand von Kappengeiern um 83 % zurückgegangen, Weißrückengeier um 90 %, Wollkopfgeier um 96 % und Sperbergeier um 97 %! Auch bei Bartgeiern, Kapgeiern, Ohrengeiern und Schmutzgeiern sieht es in Afrika ähnlich dramatisch aus! Animierte Landkarten zeigen eindringlich, wie die einst weit verbreiteten Geierarten in den letzten Jahren zu einzelnen Punkten verschwunden sind.
Schuld an diesem dramatischen Rückgang ist zu über 60 % der Einsatz illegaler Giftsubstanzen zur Vergiftung von Wildtieren. Allein dieses Jahr starben im südlichen Afrika über 1.200 Geier durch Gift, davon allein 537 Geier bei einem einzigen Vorfall in Botswana, als wilderer die Kadaver ihrer Beute mit Gift kontaminiert hatten, um gezielt Geier auszurotten, da Geier durch ihren kreisenden Flug Parkranger auf die toten Tiere und somit auch auf die Wilderer aufmerksam machen würden.
André betonte aber auch, dass nicht alle Gift-Vorfälle durch Wilderer passieren. Viele Einheimische wollen ihre Nutztier und ihr Hab und Gut vor Raubtieren schützen und legen Giftköder aus, ohne damit zu rechnen, dass auch Geier davon fressen können. Reißen zum Beispiel Schakale wertvolle Nutztiere oder trampelt ein Elefant ein Getreidefeld platt, dann muss Verständnis für die teils sehr arme Bevölkerung aufgebracht werden, dass sie Angst um ihre Existenz haben. Einfach nur den Gifteinsatz verbieten bringt hier leider nicht viel.
Weitere Gefahren für Geier gehen von Bleivergiftung, Kollisionen mit Stromleitungen und Windkraftanlagen, Stromschlag oder der traditionellen Medizin ("Muthi") aus.
Um die Geier in Afrika zu schützen, wurde 2017 der Multi-species Action Plan (MsAP) verabschiedet, der auf regionale Gefahren und mögliche Aktionsfelder hinweist, darunter z. B. vogelfreundliche Infrastruktur (Stromleitungen, Strommasten, Windkraftanlagen u. ä.).
Im südlichen und östlichen Afrika wurden bereits über 1.800 Leute bzgl. Gift geschult, also wie eine Vergiftung erkannt wird, wie der Tatort dekontaminiert und wie verletzten Tieren geholfen werden kann. Je schneller ein Tatort entdeckt und die kontaminierten Kadaver vernichtet werden, desto weniger Opfer gibt es insgesamt.
Mit hat der Vortrag wirklich sehr gut gefallen, weil er neben allen Zahlen, Daten und Fakten auch sehr emotional war und Emotionen gehören für mich zum Geierschutz einfach dazu! "The time to act is now!"
Im dritten Vortrag ging es von Afrika nach Asien, als Chris Bowden das große SAVE-Projekt vorstellten, von dem ich schon in der Vergangenheit sehr viel Gutes gehört hatte.
Mit seiner tollen Geierhandpuppe hatte Chris sofort alle Zuhörer auf seiner Seite und ich konnte nur denken: DIE WILL ICH!!! ;-)
Leider wurde sie während des Vortrages von unserem Bartgeier so gut bewacht, dass ich keine Chance hatte ihr zu nahe zu kommen.
Während der Asiatischen Geierkrise starben bis Anfang dieses Jahrtausends gut 40 Millionen Geier. Innerhalb von 15 Jahren verschwanden somit unter anderem 99,9 % aller Bengalgeier, Artgenossen der hübschen Handpuppe. Erst 2003/2004 fanden Geierforscher heraus, dass die Ursache für das Geiersterben der Wirkstoff Diclofenac ist, der großflächig in der Tiermedizin eingesetzt wurde. Fraßen Geier anschließend von den Kadavern behandelter Nutztiere, so starben sie selber innerhalb von 24 Stunden an Leber- und Nierenversagen. Als man die Ursache herausfand, war es für 40 Millionen Geier leider bereits zu spät. Durch die fehlenden Geier liegen die Kadaver auch heute noch überall in der Landschaft herum, vor allem auf dem Indischen Subkontinent. Dadurch hat sich die Anzahl wilder Hunde über 30 % erhöht und die Anzahl von Tollwutfällen schießt rapide nach oben. Derzeit werden ca. 50.000 Todesfälle durch Tollwut allein in Indien gemeldet. Die Dunkelziffer wird vermutlich um ein Vielfaches höher sein. Ein Riesendrama und ein deutliches Warnsignal für die aktuelle Geierkrise in Afrika.
Die wichtigsten Aktionen waren der Stopp von Diclofenac in der Tiermedizin und das Einrichten von Brutprogrammen für drei fast ausgestorbene Geierarten. 2006 wurde Diclofenac verboten, aber leider ist es nach wie vor auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Zur Zeit ist nur Meloxicam als Geier-verträglich erwiesen. 2008 wurden die ersten erfolgreichen Nachzuchten in den Brutzentren verzeichnet, seit 2010 brüten sogar alle drei Geierarten und bis 2017 wurden fast 70 Küken geboren. Bis 2019 konnten sogar knapp 400 Küken ausgewildert werden. Das zeigt den wahnsinnigen Erfolg des Brutprogrammes!
Das dritte Handlungsfeld ist das Einrichten von Geierschutzgebieten ("Vulture Safe Zones").
Im Anschluss an diese drei tollen Vorträge gab es eine kurze Fragerunde. Dabei bekam die knuffige Geierhandpuppe wieder einen kleinen Auftritt.
Natürlich konnte ich es mir im Anschluss nicht nehmen lassen diese Geierhandpuppe aus der Nähe zu bewundern und Chris zu seinem Vortrag und der tollen Arbeit zu gratulieren.
Der nächste Vortrag kam von David de la Bodega Zugasti über 25 Jahre illegalen Gifteinsatz in Spanien.
Zwischen 1992 und 2017 wurden zahlreiche Vergiftungen von Geiern dokumentiert. Darunter waren 1.757 Gänsegeier betroffen, 624 Mönchsgeier, 325 Schmutzgeier und 48 Bartgeier. Die Vergiftungen erfolgten zu gut 60 % durch Konsumierung von Rückständen bleihaltiger Munition, die übrigen durch Fressen von vergifteten Kadavern.
Marta Herrero berichtete über den Einsatz von NSAIDs ("non-steroidal anti-inflammatory drugs" = entzündungshemmende Schmerzmittel, u. a. Diclofenac) in Spanien.
Leider kommt es immer wieder vor, dass tote Geier positiv auf NSAID getestet wurden, aber auch Kadaver in Geierrestaurants. Das weißt darauf hin, dass die Richtlinien für die Nutzung von Geierfutterstellen nicht immer eingehalten werden, was für die Geier dramatische Folgen hat. Die Geierfutterstellen sollen schließlich dazu dienen den Geiern ausschließlich sicheres Futter bereitzustellen. Anhand der untersuchten Proben errechnet sich bei ca. 38.413 Schweinekadavern pro Jahr somit ein Risiko von 0,03 %, dass die Geier einen kontaminierten Kadaver an ihrer Futterstelle fressen.
Trotz der Erkenntnisse aus der Asiatischen Geierkrise wurde Diclofenac 2013 in Europa in der Nutztierhaltung zugelassen. Damit ist nicht nur die größte Geierpopulation Europas in Spanien gefährdet, sondern auch die kleineren Populationen in den übrigen Ländern.
Mit diesen vielen Eindrücken und Erkenntnissen ging es in die Kaffeepause.
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