Dienstag, 1. Oktober 2019

1.Tag der European Vulture Conference - 1/2

Das zweijährige Warten hat ein Ende, heute begann die European Vulture Conference 2019 der Vulture Conservation Foundation (VCF)!!!
Bereits gestern Nachmittag habe ich den Flieger von Düsseldorf nach Lissabon genommen. Der Flughafen von Faro wäre zwar näher an der Konferenz in Albufeira, aber leider gab es keinen Direktflug, sondern nur Umstieg über Lissabon zum fast doppelten Preis. Umso besser, dass die VCF für alle Konferenzteilnehmer mehrere Transfers von Lissabon nach Albufeira organisiert hat.
Da ich nach meiner Ankunft am Flughafen noch eineinhalb Stunden Zeit bis zur Abfahrt hatte, schlang ich mir direkt den knurrenden Magen mit köstlichen Pasteis de Nata voll. Die habe ich schon ewig nicht mehr gegessen! Witzigerweise war das letzte Mal nicht in Lissabon, sondern in Südafrika, wo sie fast so gut schmeckten wie die Originale. Von meiner Sitzbank aus konnte ich alle Neuankömmlinge und die Empfangsdame für den Transfer im Auge behalten. Von den Namen auf der Transferliste waren mir nicht viele bekannt, aber der Bekannteste tauchte schon bald auf: Chris Bowden von SAVE in Asien. Ich war total überrascht, dass er sich direkt an meinen Namen erinnert hat, obwohl meine E-Mails bestimmt schon einige Jahre her sind. Auch eine Teilnehmerin aus Südafrika konnte ich schnell an ihrem Geier-T-Shirt erkennen. Von meiner Zimmergenossin Ilka hatte ich bereits die ersten Fotos vom traumhaften Strand nahe unseres 5-Sterne-Konferenzhotels geschickt bekommen und konnte die Ankunft kaum erwarten. Allerdings war klar, dass wir erst im Dunkeln ankommen würden. Der Transfer war auf 19 Uhr angesetzt, aber wir fuhren erst verspätet los. Mit einer Pause zwischendurch kamen wir erst um kurz nach 23 Uhr in Albufeira an der Algarve an. Zum Glück war Ilka noch wach und wir konnten das Wiedersehen nach zwei Jahren feiern und uns auf eine nette Wohngemeinschaft einstimmen. Trotz Konferenzrabatt wäre das Einzelzimmer nicht wirklich günstig gewesen, das Doppelzimmer fast halber Preis. Ich gebe aber zu, dass das Zimmer gefühlt größer als meine Wohnung war!
Am nächsten Morgen traf ich direkt die ersten Bekannten beim Frühstück: José, den Direktor der VCF, Andrea, den ich 2015 bei der Ohrengeier-Beringung in Namibia kennengelernt hatte, Fulvio, meinen italienischen Bekannten aus Udine, der immer mal wieder meine kroatische Patengeierin an seinem Futterplatz sichtet, und viele mehr.
Die vielen Geierleute waren sehr leicht von den "normalen" Hotelgästen zu unterscheiden, da praktisch jeder stolz sein Geier-T-Shirt-Kollektion präsentiert hat. Außerdem bekamen wir bei der morgendlichen Anmeldung ein Schlüsselband mit Namensschild und eine "goody bag" mit nettem Geier-Schnickschnack und Info-Material.
Im Foyer des Auditoriums gab es einen Bildschirm, der die täglichen Vorträge angekündigt hat. Ähnliche Monitore gab es auch nahe des kleineren Besprechungsraumes und des Aufenthaltsraumes. Dennoch muss ich gestehen, dass ich vor allem am ersten Tag noch gut umher geirrt bin, weil das Hotel nicht wirklich logisch aufgebaut ist. Vom Foyer musste ich zum Beispiel eine Treppe runter gehen, um in mein Zimmer auf Etage 2 zu kommen. Auch die Verbindungen zwischen Foyer, Restaurant und Konferenzräumen waren mir - und den anderen Teilnehmern - nicht immer klar. So kam es vor, dass andere Gäste und ich in entgegengesetzte Richtungen gelaufen sind und wenige Augenblicke später vor dem Auditorium wieder aufeinandertrafen. Aber im Grunde wies jede Ecke des Hotels darauf hin, dass hier eine Woche lang die Weltelite der Geierschützer versammelt ist.
Bei der Anmeldung traf ich Alex wieder, die neue Angestellte von VulPro, die am dritten Tag einen Vortrag halten würde.
Auf die vielen Wiedersehen mit alten Freunden und Bekannten habe ich mich am meisten gefreut! Nach VulPro komme ich zwar regelmäßig, aber die vielen anderen netten Geierschützer aus meinen bisherigen Projekten sehe ich nur alle paar Jahre wieder, wenn ich zum Beispiel an der Bartgeierkonferenz der VCF teilnehme oder wir uns zufällig sonst wo treffen. Die meisten Kontakte bestehen leider hauptsächlich online. Mit manch einem Geierschützer war ich bisher nur online in Kontakt und habe daher direkt die Augen aufgehalten, wen ich wohl als erstes erkennen würde. Umso überraschender war es für mich, dass einige Geierleute mich zuerst erkannten und sich mir vorstellten statt anders herum! Am meisten war ich geschmeichelt, als ich mich einem Teilnehmer vorstellen wollte und er zu mir sagte: "Du brauchst dich gar nicht vorstellen, dich kennt doch jeder hier!"
Vom Anblick des Auditoriums, in dem die meisten der Vorträge stattfinden sollten, war ich total überrascht. Das hatte wirklich was von einem Kinosaal mit toller Bühne!
Begleitet wurde die Konferenz von "Cirenia Sketches", einer super freundlichen Künstlerin, die alle Hauptredner und ihre Präsentationen skizziert hat. Netterweise darf ich die Bilder auch für meinen Blog nutzen! Zur Einstimmung gab es bereits im Vorfeld eine Zusammenfassung der Hauptakteure der europäischen Geierkonferenz: Gänsegeier, Schmutzgeier, Mönchsgeier und Bartgeier!
Trotz des Titels "European Vulture Conference" kamen die Teilnehmer aus der ganzen Welt und es wurde in den verschiedensten Vorträgen über alle Geierarten berichtet.
Um 9 Uhr ging es dann los mit einer kurzen Begrüßung durch Daniel Hegglin, bevor José Tavares die Vorstellung der Vulture Conservation Foundation übernahm.
Hierzu wurde auch ein tolles Video gezeigt, das die Arbeit der VCF und die tollen Erfolge zum Erhalt der europäischen Geierarten zeigte. In Asien sind durch den Einsatz von Diclofenac kaum noch Geier übrig und auch in Afrika breitet sich die Geier-Krise deutlich aus. Hier ist vor allem der illegale Gifteinsatz gegen Wildtiere die Haupttodesursache für Geier - sei es durch Giftköder gegen Raubtiere oder durch gezielte Geiervergiftung durch Wilderer. In Europa zeigen die vielen Geierschutzaktivitäten mittlerweile Wirkung: Nach der Ausrottung des Bartgeiers in den Alpen um 1913 wurde ein riesiges Zucht- und Wiederansiedlungsprojekt gestartet. Mittlerweile kreisen wieder gut 250 majestätische Bartgeier am Himmel. Gänsegeier hatten im 20. Jahrhundert einen dramatischen Rückgang erlitten. Durch viele Projekte geht es ihnen in einigen Ländern wieder richtig gut und es werden ca. 35.000 Brutpaare geschätzt. Mönchsgeier waren in vielen Ländern bereits ausgestorben, kämpfen sich aber nach und nach wieder zurück. Genauso die kleinen Schmutzgeier.
Außerdem wurden die Mitglieder der VCF vorgestellt, ohne deren unermüdlichen Einsatz diese Konferenz sicher nicht in so einem großen Rahmen möglich gewesen wäre. Diese Konferenz findet zum ersten Mal statt und schon bei der Organisation hatte ich nicht das Gefühl, dass irgendwelche Katastrophen zu erwarten sind. Alles war bestens geplant und die Antworten auf Rückfragen kamen immer zeitnah. Ganz dicken Applaus für die VCF!!!
Die Konferenz wurde fleißig auf Twitter geteilt und auch auf Facebook wurde jeder gebeten seine Einträge mit #Vultures2019 zu versehen, damit später alle Einträge leichter gefunden werden können.
Der erste Fachvortrag wurde von Francois Sarrazin von der Sorbonne Universität gehalten. Hierbei ging es um die Wiederansiedlung und den Schutz von Aasfressern in Europa.
Zum Beispiel wurden in Grands Causses in Frankreich 61 Gänsegeier zwischen 1981 und 1986 ausgewildert. Den Gänsegeiern geht es dort so gut, dass bis zum Jahr 2018 insgesamt 450 Küken flügge geworden sind. Viele ausgewilderte Tiere bekommen Krallenringe, Wingtags oder GPS-Sender, um ihr Verhalten besser erforschen und ihre Sichtungen dokumentieren zu können. Hierzu soll eine große Datenbank für alle Wiederansiedlungsprojekte in Europa aufgebaut werden.
Franziska Lörcher, Mitglied der VCF, stellte anschließend die Wiederansiedlung des Bartgeiers in Europa vor.
Als in den 80er Jahren das Wiederansiedlungsprojekt gestartet wurde, waren in freier Natur weniger als 80 Bartgeier-Brutpaare in Europa übrig. Daher wurde entschieden, dass für die Wiederansiedlung nur Nachzuchten aus Zoos genutzt und keine Geier aus der freien Natur eingefangen werden. Zwischen 1978 und 2019 wurden 564 Küken im Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP) flügge. Fast 60 % schlüpften in speziellen Brutzentren, die anderen in Zoos und privaten Einrichtungen. Das Auswildern der Bartgeier-Jungtiere erfolgt mittels "hacking". Das bedeutet, dass die Junggeier im Alter von etwa 3 Monaten in eine sichere Felshöhle gebracht werden, also noch bevor sie flügge sind. Im Idealfall gemeinsam mit einem oder zwei Artgenossen werden sie dort über Fallrohre zugefüttert, so dass sie in der ganzen Zeit keinen Sichtkontakt zu Menschen haben. Sie können sich in Ruhe an ihren künftigen Lebensraum gewöhnen, bevor sie etwa 3-4 Wochen später zum ersten Mal ausfliegen. Die Wiederansiedlung der Bartgeier erfolgt nicht nur in den Alpen, sondern auch in den Pyrenäen sowie u.a. in Andalusien und auf Korsika.
Orr Spiegel von der Universität in Tel Aviv war mir bisher tatsächlich kein Begriff, aber schon nach wenigen Sätzen hat er mich mit seinem Vortrag über die Nahrungssuche von Geiern und ihre Nutzung sozialer Informationen absolut in den Bann gezogen.
In einer Studie verglich er das Verhalten von Ohrengeiern und Weißrückengeiern in Namibia. Beide Geierarten nisten in Bäumen, aber während Weißrückengeier in Kolonien leben, sind Ohrengeier Einzelgänger. Ohrengeier finden Kadaver meistens eher als Weißrückengeier. Das liegt einerseits vielleicht daran, dass sie eine bessere Sehkraft haben. Aber andererseits fliegen Ohrengeier morgens deutlich eher los als Weißrückengeier, die auf den Gruppenantrieb in ihrer Kolonie warten. Weißrückengeier fliegen abends zu ihrer Kolonie zurück, während Ohrengeier überall in der Gegend rasten. Daher sind sie viel großflächiger unterwegs und können Aas leichter finden. Weißrückengeier wissen, dass Ohrengeier gute Aasfinder sind und folgen ihnen, um genug Nahrung zu finden. Dabei lernen Weißrückengeier von Ohrengeiern. In Gegenden, wo Ohrengeier aussterben oder abwandern, werden auch die Weißrückengeierzahlen immer geringer. Es gilt also verschiedene Geierarten gleichwertig zu betrachten, da sie gemeinsam im Einklang steht. "United we stand - divided we fall!"
Olivier Duriez über das Flugverhalten bei der Nahrungssuche von Gänsegeiern anhand einer Studie in Rocamadour, Frankreich.
Gänsegeier wurden mit GPS-Sender, Kamera und Herzfrequenzmessung ausgestattet, um ihr Flugverhalten bei der Nahrungssuche genau zu untersuchen. Besonders spannend fand ich die Übersichtsfolie der Herzfrequenz eines Gänsegeiers bei unterschiedlichen Bewegungen wie Aufstieg in der Thermik, Gleitflug, Landung, beim Rasten oder beim Laufen.
Geier versuchen im Flug ihren Energieverbrauch zu optimieren. Im Gleitflug verbrauchen Geier wenig Energie, verlieren jedoch ca. 1 Meter Höhe je Flugsekunde. Wenn sie später keine gute Thermik finden, müssen sie durch Flügelschlag viel Energie aufwenden, um wieder in die Höhe aufzusteigen. Findet der Geier eine gute Thermik und steigt wieder auf, so spart er zwar Energie, kommt aber nur langsam voran. Der Geier muss also die für ihn perfekte Gleitflug-Geschwindigkeit herausfinden, um nicht zu schnell zu sinken und dennoch große Strecken auf Nahrungssuche zurücklegen zu können. Ich muss zugeben, dass ich über diese Zusammenhänge bisher noch gar nicht nachgedacht habe! Aber genau wegen solche Informationen und Anregungen bin ich natürlich hier! Später wurde auch erklärt, dass Geier im Aufstieg leicht vom Wind "weggedrückt" werden können. In einer Flughöhe unter 200 m wird dadurch das Risiko umso größer mit Windkraftanlagen zu kollidieren. In Spanien wurden bisher mindestens 2.400 Gänsegeier Todesopfer von Windkraftanlagen!
Pascual López-López berichtete über Erkenntnisse aus Untersuchungen zum Migrationsverhalten von Schmutzgeiern über drei Kontinente. Unterstützt wurde er bei seiner Studie von 40 Leute aus 11 Projekte, was erneut zeigt, wie wertvoll die länderübergreifende Arbeit beim Geierschutz ist.
94 Schmutzgeier wurden mit GPS ausgestattet und rund um das Mittelmeer untersucht. Mit Betrachtungen von West-Europa, dem Balkan, dem Mittleren Osten und dem Kaukasus wurden somit gut 70 % des Ausbreitungsgebietes von Schmutzgeiern abgedeckt. Die Migrationsrouten wurden anhand von spannenden Animationen gezeigt. Die längsten Distanzen legen hierbei die östlichen Populationen zurück. Es ist auffällig, dass die westlichen Geier im Frühling früher starten. Im Herbst fliegen alle Geier zur ähnlichen Zeit ab, aber die östlichen Geier kommen später an. Außerdem bleibt die westliche Population eher für sich, während sich die übrigen Populationen leicht durchmischen. Insgesamt besuchen Schmutzgeier auf ihrer Migration gut 44 Länder auf 3 Kontinenten!
Auf das Wiedersehen mit Andrea Santangeli nach 4 Jahren hatte ich mich sehr gefreut. Die gemeinsame Zeit in der Wüste Namibias bei den wunderschönen Ohrengeierküken war schon etwas ganz Besonderes! Heute hielt er einen Vortrag über die Priorisierung von Schutzgebieten für Altweltgeier, also allen 15 Geierarten, die in Europa, Afrika und Asien leben.
Die Priorisierung der Schutzgebiete erfolgte anhand aufwendiger Auswertungen zu bewussten und unbewussten Geier-Vergiftungen, Kollisionen mit Windkraftanlagen und verschiedenen menschlichen Einflüssen. Daraus ergab sich eine Landkarte mit allen für den Geierschutz priorisierten Gebieten. Leider fällt auf, dass bisher nur 19 % dieser Flächen Teil des Schutzgebiet-Netzwerkes sind. Hier ist der große Appell, dass der Geierschutz auch in Gebiete vordringen muss, die bisher nicht als Schutzgebiet deklariert wurden.
Nach je 2-3 Vorträgen gab es ein paar Minuten Zeit für Fragen und auch eine Kaffeepause, aber es wird strikt auf die Einhaltung des Zeitplans geachtet. Vor einigen Jahren wurde ein wilder Gänsegeier entdeckt, dem jemand eine Kuhglocke um den Hals gehängt hatte. In Anlehnung an diesen Geier wurde während der Konferenz auch immer eine Kuhglocke geläutet, wenn sich alle Teilnehmer wieder auf den Weg zu den Besprechungsräumen machen sollten.
Nach Andreas Vortrag gab es eine Mittagspause und genug Zeit, um mit den anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen.

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