Es ist unglaublich, wie innerhalb weniger Tage plötzlich die Welt durch Corona gefühlt komplett zum Stillstand kommt. Natürlich hatte ich die Nachrichten verfolgt, sogar bereits seit den ersten Fällen in China Ende 2019, weil mich das Thema Tropenkrankheiten und Epidemien bis hin zu Pandemien schon immer interessiert hat. Aber auf einmal ging dann doch alles sehr schnell und die Auswirkungen lassen sich jetzt nur erahnen. Auch auf den Geierschutz hat COVID-19 großen Einfluss! So konnte ich meine aktuell geplanten, diesjährigen Geiereinsätze nach Rücksprache mit den Geierprojekten vor Ort erstmal auf unbestimmte Zeit auf Eis legen, zumal derzeit plötzlich Deutsche als Anwohner eines Hotspot-Landes nicht mehr einreisen dürfen. Zum Glück hatte ich noch keine Flüge gebucht, mich aber schon sehr auf das erste Projekt in Spanien Ende April / Anfang Mai gefreut. Die Aussicht auf einen spannenden Geiereinsatz in einem neuen Projekt hilft mir nämlich immer längere Durststrecken zu überstehen.
Aus Südafrika erhielt ich die erschreckende Nachricht, dass innerhalb weniger Tage alle internationalen Gäste aus dem Land geschickt werden mussten, bevor im ganzen Land ein dreiwöchiger Lockdown ausgesprochen wurde. Dazu zählten natürlich zahllose freiwillige Helfer aus diversen Naturschutzprojekten, darunter betroffen auch VulPro. Viele Projekte, egal ob im Naturschutz, Menschenrecht oder anderen Gebieten, sind auf freiwillige Helfer angewiesen, die häufig aus anderen Ländern stammen. Wie sollen all diese Projekte weiterlaufen, wenn plötzlich die Gratis-Kräfte und helfenden Hände fehlen? Wie sollen Geier gerettet werden, wenn niemand mehr vor die Tür darf. Zwar wird VulPro einen Passierschein bekommen, weil es sich um eine wichtige Institution zum Wildlife Schutz handelt. Aber wie es aussieht, darf immer nur ein Helfer allein unterwegs sein. Wenn ich daran denke, wie wir teils Kilometer nach einem verletzten Geier abgesucht haben und hinterher über Stock und Stein sowie Zäune klettern mussten, um das Tier zum Auto zu bringen… Das ist alleine doch gar nicht möglich. Schon allein das Auto zu öffnen, die Transportkiste zurecht zu rücken und zu öffnen, während man einen gestressten, um sich hackenden Geier unterm Arm hat, ist eigentlich gar nicht zu schaffen. Mal ganz abgesehen von den Sicherheitsproblemen in diesem Land, wenn man allein mit dem Auto unterwegs ist.
Ähnlich geht es natürlich auch vielen anderen Geierprojekten, wie zum Beispiel der Vulture Conservation Foundation (VCF). Aktuell schlüpfen in Europa in sämtlichen Zuchtstationen, Zoos und Tierparks Geierküken, die im Rahmen von Auswilderungsprojekten im Sommer freigelassen werden. Dabei kommt es immer wieder vor, dass Geiereltern ihre Küken nicht annehmen und vernachlässigen. Oder sie hören plötzlich auf ihre Eier zu bebrüten. In diesem Fällen werde häufig Eier oder Küken kreuz und quer durch Europa transportiert, um die Eier bzw. Küken in Zuchtstationen Ammen-Pärchen unterzuschieben. Bartgeier legen zum Beispiel meist zwei Eier, ziehen aber später nur ein Küken groß, da das stärker Küken das schwächere aus dem Nest schubst oder sogar tötet. Um den Zuchterfolg zu erhöhen, wird also häufig ein Ei aus dem Gelege entfernt und anderen Geierpaaren gegeben. Verfügt der Tierpark jedoch nicht über genug Geierpaare, so werden auch diese Eier in entsprechende andere Institutionen abgegeben. Werden nun jedoch innerhalb Europas sämtliche Grenzen gesperrt, so können die Eier/Küken nicht mehr an ihre Bestimmungsorte gebracht werden und die gesamte Brutsaison wird beeinflusst. Im schlimmsten Fall müssen Geierküken von Hand aufgezogen werden, was eine spätere Auswilderung nahezu unmöglich macht.
Einige Wochen/Monate weiter gedacht kommt das nächste Problem: Europaweit gibt es viele Auswilderungsprogramme für die vier europäischen Geierarten Bartgeier, Gänsegeier, Schmutzgeier und Mönchsgeier. Auch hierzu werden die Junggeier kurz bevor sie flügge werden teils über mehrere Grenzen bis in ihr Bestimmungsland zur Auswilderung gebracht. Manchmal werden die Geier bereits kurz nach dem Transport freigelassen, manchmal bleiben sie zunächst einige Wochen in einer Voliere an ihrem Auswilderungsort. Was passiert aber, wenn die Geier zu diesem Zeitpunkt gar nicht länderübergreifend transportiert werden dürfen? Bei den Auswilderungsprojekten ist eine genetische Vielfalt sehr wichtig. Es können also nicht über Jahre beliebig viele Küken des gleichen Brutpaares in der gleichen Gegend freigelassen werden. Hier ist es zwingend erforderlich sie an andere Orte und in andere Länder zu bringen, darunter Frankreich, Spanien, Portugal, Österreich, Schweiz, die Balkanländer und viele mehr.
Zum Glück hat die VCF rechtzeitig mit Vorsorgemaßnahmen begonnen und last minute in Nacht-und-Nebel-Aktionen einige Geierküken noch über die Grenzen bringen können, bevor diese geschlossen wurden. Außerdem wurde bereits ein Notfallprotokoll erstellt, wie Geierküken mit möglichst wenig Menschenkontakt von Hand aufgezogen werden können. Natürlich wird die Umsetzung der Notfallmaßnahmen aufgrund der vielen Corona-Einschränkungen nicht leicht sein, aber ein kompletter Ausfall der Brut- und Auswilderungssaison kann somit hoffentlich verhindert werden.
Drücken wir die Daumen, dass die Corona-Pandemie für unsere Geier nicht genauso fatal endet wie bereits für viele Menschen.
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