Samstag, 7. März 2020

Wenn Tourismus über Geierschutz steht

Ich würde ja gerne mal wieder Erfreuliches aus der Geierwelt berichten, aber auch diese Nachrichten aus Indien sind einfach nur frustrierend. Wieder einmal zeigt sich, dass vielerorts Tourismus über Geierschutz gestellt wird.
An diesem Wochenende findet in Orchha, einer Stadt im indischen Madhya Pradesh's Niwari District, das dreitägige, regierungs-getriebene, internationale Tourismus-Festival Namaste Orchha statt. Orchha ist bekannt für seine beeindruckenden, antiken Tempelanlagen und Monumente aus dem 16. Jahrhundert. Außerdem leben dort (stark) bedrohte Indiengeier, Weißrückengeier und Schmutzgeier. Sie bauen ihre Nester mit Vorliebe in großen Bäumen, in Felswänden oder auf den von Touristen so beliebten historischen Denkmälern und Gebäuden. Im Rahmen der Vorbereitungen auf das Festival wurden die wichtigsten Gebäude und Denkmäler nun gereinigt, frisch gestrichen und dabei zum Schock vieler Geierschützer auch die Geiernester der bedrohten Tiere entfernt!
Nach Aussage des Hauptgeschäftsführers von Madhya Pradesh Tourismus wurden im Vorfeld zum Festival viele Vorsichtsmaßnahmen zum Schutze der bedrohten Geier getroffen. Was konkret er eigentlich getan hat, wollte er nicht beantworten. Klingt in meinem Ohren ziemlich verlogen und heuchlerisch. Andere Regierungsvertreter behaupteten, dass sämtliche Tätigkeiten wie Instandhaltung der Straßen nahe der Geiernester gestoppt wurden, um die Geier nicht in ihren Nestern zu stören. Wäre ein Nest dennoch leer, so läge es nur daran, dass die Geier tagsüber in den nahen Wald fliegen würden. Geierschützer zweifeln all diese Aussagen jedoch an und glauben, dass in Anbetracht eines großen Tourismus-Festivals der Geierschutz leider keine Rolle mehr spielt.
Zusätzlich zur Zerstörung der Geiernester sind während der Festlichkeiten Feuerwerke sowie Sound-and-Light-Shows geplant, die bei allen Tieren enormen Stress verursachen. Anfragen der Geierschützer an verschiedene Organisatoren und Regierungsvertreter, diese Aktivitäten zu unterlassen, blieben unbeantwortet. Ein Offizieller vom Forest Department hat sogar dreist behauptet, dass Licht und Lärm Geier gar nicht stören würden. Die Regierung unterstützt den Geierschutz eigentlich sehr gut, aber sobald es um Tourismus geht, dreht sich das Blatt und Berichte über das mutwillige Zerstören von Geiernestern im Rahmen der Festival-Vorbereitungen werden abgestritten oder totgeschwiegen.
Hinzu kommt, dass im Vorfeld des Festivals viele Filmaufnahmen mit Drohnen gemacht wurden. Diese Drohnen flogen bedrohlich nah an den Brutgebieten der Geier vorbei und sorgten für viele Störungen, ebenso wie private Filmaufnahmen mit Drohen im Rahmen von Feierlichkeiten wie Hochzeiten - aber auch dies wird trotz offensichtlicher Film-Beweise verleugnet.
Bereits im vergangenen Jahr baten Geierschützer laute und störende Instandhaltungsarbeiten außerhalb der Brutsaison durchzuführen, also von Mai bis September. Dennoch wurden die Arbeiten erst im November begonnen, mitten in der Brutsaison. Dies führte dazu, dass Geiereltern gestresst ihr Nest verließen und das Küken hilflos im Nest zurückblieb, Wind und Wetter ausgesetzt. Zudem wurden Touristen dabei beobachtet, wie sie Steine nach den Geiern in ihren Nestern warfen. Mehrfach mussten Geierschützer durch Steinwurf verletzte Geier retten und aufpäppeln.
Schätzungen zufolge war die Anzahl der Geier in Orchha und dem nahegelegenen Wald von 60 Geiern in 2018 auf 87 Geier in 2019 gestiegen. Eigentlich ein guter (Teil-)Erfolg in einem Land, in dem in den 90er Jahren 99,9 % aller Geier, über 40 Mio., durch den Einsatz von Diclofenac in der Tiermedizin ausgerottet wurden, bis nur noch ca. 19.000 Geier übrig waren. Seitdem bemühen sich Geierschützer landesweit durch gezielten Schutz der Brutgebiete und Geierzuchtprogramm die kollabierte Geierpopulation Indiens vor dem Aussterben zu bewahren. Eine mutwillige Zerstörung von Geiernestern wie in Orchha passt natürlich so gar nicht ins Bild.
In der Provinz Madhya Pradesh ist die Anzahl an Geiern von 2016 bis 2019 um 864 Exemplare auf 7.906 gestiegen ist. Aktuell ist sogar von einer Gesamtzahl von ca. 8.500 Geiern die Rede. Doch anstatt diese Erfolge zu feiern, könnte es nun erneut zu einer traurigen Kehrtwende kommen.

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