Sonntag, 14. März 2010

Gänsegeier auf Nahrungssuche

Europäische Gänsegeier ernähren sich hauptsächlich von Nutztieren wie Schafe und Ziegen, während die afrikanischen Gänsegeier den großen Säugetier-Herden (vor allem Gnus, Zebras, Antilopen) auf ihren Wanderungen folgen. Da es in Australien keine Herden mit großen Säugetieren gibt, leben dort leider auch keine Geier [1].
Gänsegeier verbringen etwa 8 Stunden täglich in der Luft, um nach Nahrung zu suchen. Dabei segeln sie, sobald es warm wird, auf den aufsteigenden Luftströmungen und erreichen im Segelflug Geschwindigkeiten von über 60 km/h [2]. Da Gänsegeier in Kolonien leben, gehen sie auch zusammen auf Nahrungssuche. Die einzelnen Geier verteilen sich weitflächig über den Himmel, aber jeder Geier bleibt in der Sichtweite mindestens eines weiteren Geiers. Auf diese Weise können sie ein möglichst großes Gebiet abstecken und die Chance einen frischen Kadaver zu entdecken steigt enorm. Hat ein Gänsegeier einen Kadaver entdeckt, so stürzt er herab und kann im Zielflug bis zu 160 km/h erreichen [2]. Der nächst-fliegende Geier sieht den Zielflug seines Kollegen und folgt ihm. Dies wiederum sieht der nächst-entfernte Geier und fliegt hinterher. Auf diese Weise finden selbst diejenigen Geier zum Kadaver, die bis zu 50 km entfernt auf Suchflug sind [1].
Gänsegeier sind sehr vorsichtige Tiere und lassen – im Gegenteil zu anderen Geierarten – zum Teil Stunden bis sogar Tage verstreichen, bevor sie einen Kadaver annehmen. Dabei fliegen sie immer wieder im Tiefflug über den Kadaver hinweg, um die Lage zu checken und eventuelle Feinde zu erkennen. Sind die Geier besonders hungrig, weil sie tagelang kein Aas entdeckt hatten, oder haben bereits andere Vögel Blut freisetzende Öffnungen in den Kadaver geschlagen, so beschleunigt sich der Angriff aufs Aas [2].
Tauchen mehrere Geier-Arten gemeinsam an einem Kadaver auf, so bekommt jeder sein Häppchen ab: Die größeren Geier (wie Mönchsgeier) haben einen besonders großen und kräftigen Schnabel. Damit reißen sie den Kadaver auf und schnappen sich die zäheren Bissen. Die langhalsigen Geier (wie Gänsegeier) stecken ihren Hals und den relativ langen und schmalen Schnabel durch die bereits aufgerissene Haut des Kadavers und wühlen sich tief bis zum weicheren Fleisch, den Muskeln und Eingeweiden durch. Mit ihrer am Rande raspelartig gezahnten Zunge fressen sie den Kadaver somit von Innen aus [3]. Fallen beim Fressen kleinere Fleischbröckchen an, so werden diese von den kleineren Geiern (wie Schmutzgeiern) stibitzt und aufgepickt. Die abgenagten Knochen werden anschließend von den Bartgeiern geöffnet und das Mark verschlungen. Auf diese Weise ist ein großer Kadaver innerhalb von 20 Minuten praktisch vollständig zerlegt und verspeist [1]!
Gänsegeier unter sich zeigen beim Aas hack eine klare Fresshierarchie:
Zu Fressbeginn schreitet ein dominanter Vogel „in einer Art Stechschritt mit hoch aufgerichtetem Körper“ zum Aas und reißt wenn nötig mit seinem Schnabel große Öffnungen in die Haut des Kadavers [2]. In etwa 3 – 10 m Entfernung lauern die Kandidaten 1. Ordnung, bis der dominanten Vogel so sehr ins Fressen vertieft ist, dass er die anderen nicht länger durch Anstarren, Drohen und Fauchen auf Abstand halten kann. Etwa weitere 25 m entfernt warten schließlich die Kandidaten 2. Ordnung [3], bis sie ihre Chance sehen ihren Anteil am Aas zu erbeuten.
Die Fresshierarchie hängt hauptsächlich von dem Hunger der einzelnen Geier ab. Hat ein Geier lange Zeit kein Aas mehr im Schnabel gehabt, so wird sein Verhalten deutlich aggressiver und es fällt ihm nicht schwer sich gegen die satteren Geier durchzusetzen. Beim nächsten Aas, wenn er den Magen noch immer vollgeschlagen hat, wird er sich dann eher zurückziehen und den hungrigeren Geiern die ersten Bisse überlassen.

Die Fresshierarchie der Gänsegeier am Aas

Geier können übrigens bei einem einzigen Festmahl bis zu 20 % ihres eigenen Körpergewichtes verschlingen. Allerdings haben sie danach verständlicherweise große Probleme mit diesem Gewicht wieder abzuheben [1].


--------------------
[1] Penny Olsen: Adler und Geier – Großtiere dieser Welt; Jahr-Verlag GmbH & Co.; Hamburg; 1991
[2] Wolfgang Fischer: Die Geier; Berliner Tierpark-Buch Nr. 6; A. Ziemsen Verlag; Wittenberg Lutherstadt; 1974
[3] Wolfgang Baumgart: Europas Geier – Flugriesen im Aufwind; Sammlung Vogelkunde; AULA-Verlag; Wiebelsheim; 2001

1 Kommentar: