Freitag, 9. Oktober 2015

Die ersten Ohrengeierküken I

Früh am Morgen fegte ein frischer Wind durchs Zelt, aber ansonsten war die Nacht wieder sehr schön entspannt und gemütlich. So langsam fällt Dank des Zeltes die ganze Spinnenanspannung ab! Ich versuche nur immer dran zu denken, nicht barfuß im Zelt über die Plane zu laufen, weil sich nachts gerne Skorpione oder anderes Getier unter dem warmen Zelt verstecken könnten. Aber die Matratze ist groß genug, um sich sicher darauf bewegen zu können.
Nachts trieb sich offenbar eine braune Hyäne am Zeltplatz derjenigen herum, die näher zwischen den Felsen gecampt hatten. Ich konnte später nur aus weiter Ferne die Ohren erkennen.
Da die Piloten heute abreisen wollten, fuhren wir sehr zeitig zu den drei Geiernestern nahe des Flugplatzes, damit die Piloten vor ihrer Abreise bei der ersten Beringung mithelfen können.
Endlich, der erste ausgewachsene Ohrengeier im Blickfeld!
Offenbar sind Ohrengeier-Eltern sehr schreckhaft. Sobald sie aus weiter Entfernung die Autos sehen, fliegen sie schon von dannen und bringen sich auf den großen roten Dünen von Sossusvlei oder sonstwo in Sicherheit. Nur bei sehr kleinen Küken bleiben die Eltern schützend im Nest, aber auch nur bis zu einem gewissen Gefahrengrad.
Hoch oben im Baumwipfel das große Geiernest. Ich hatte ursprünglich nicht gewusst, dass die Biester sich (schlauerweise) Stachelbäume zum Nisten aussuchen. Das bietet zwar einen guten Schutz, aber uns auch sehr viele Kratzer!
Mit einer Teleskop-Stange wird eine Gopro-Weitwinkelkamera ins Geiernest gehalten. Per Datenübertragung aufs Tablet können wir unten sehen, ob ein Geierküken im Nest ist und ob es groß genug für eine Beringung ist. Das spart viel Zeit, wenn man nicht jedesmal umsonst die Leiter aufbauen und sich den Weg durch die Dornen freischneiden muss.
Im ersten Nest ist ein Küken anwesend, so dass wir die schwere Leiter vom Auto schrauben und aufbauen konnten.
Deutliche Hinweise auf Geiernachwuchs sind Federn und Flaum rund um die Bäume sowie "White wash" alias Geiershit.
Das erste Geierküken der Beringung holt natürlich Holger persönlich aus dem Nest. Mit einer
Heckenschere schneidet er sich den Weg durch die Dornen und mit einem langen Maßband wird die Nesthöhe gemessen.
Anschließend wird das Geierküken in einen Beutel gewickelt und mit Klettverschlüssen zu einem Rollbraten verschnürt, damit es besser die Leiter runtergetragen werden kann. Später werden dann noch Außen- und Innendurchmesser vom Nest sowie die Tiefe des Nest-Trichters gemessen. 2 m Außendurchmesser sind dabei keine Seltenheit. Außerdem sind die Nester so stabil, dass man problemlos ins Nest klettern kann, wenn das Küken nicht von der Leiter aus erreichbar ist.
Auf der Ladefläche unseres Wagens erfolgt dann die Prozedur der Beringung. Jedes Küken bekommt einen Metallring um die rechte Kralle. Dabei wird besonders darauf geachtet, dass die umgeklappten Metallenden sehr eng zusammengedrückt werden, damit sie den Geier nicht behindern oder kratzen.
Dieses hübsche Kerlchen hier ist mindestens 2,5 Monate alt. Fliegen lernen frühestens mit 4 Monaten. Natürlich konnte ich mir nicht verkneifen das süße Vieh direkt zu streicheln. Das grauweiße Fell an den Beinen ist flauschig weich, genau wieder der Flaum am Hals. Ich kann es kaum glauben, dass ich jetzt jeden Tag mehrere von diesen wunderschönen Geschöpfen sehen werde ;-)
Anschließend wird die Länge der äußersten Flügelfedern bis zum Flügelgelenk gemessen. Nur bei einer Länge von mindestens 30 cm ist der Flügel groß genug, um markiert zu werden. Auch die Schwanzlänge wird notiert. Für den Wingtag desinfizieren wir die Einstichstelle am Flügel (Ober- und Unterseite) sowie den Tag und die Zange mit getränkten Wattebäuschen. Den Geiern soll schließlich durch uns nichts passieren. Natürlich tut es mir sehr leid, dass der kurze Einstich für den Wingtag spürbar ist und manchen Geiern wehtut, aber ich hoffe, dass die möglichen Auswertungen durch Wingtags dem Schutz und Verständnis ihrer Art helfen werden.
Anschließend wird der Geier wieder eingewickelt und gewogen, wobei selbstverständlich das Gewicht des Beutels abgezogen wird. Nicht selten kommt es dabei zum Ratespiel, wieviel der Geier denn wohl wiegt. Die großen Küken sind zur Zeit bereits 3 Monate als und somit fast ausgewachsen. Es wurden von den Fliegern aus aber auch sehr viele Winzlinge gesichtet, die nur aus brauem Flaum bestehen und fürs Beringen noch viel zu klein sein werden. Ich bin schon sehr gespannt auf die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Geierkinder.
Nach erfolgreicher Beringung kommt das Geierküken wieder zurück ins Nest, wohin die Eltern nach unserer Abfahrt hoffentlich möglichst schnell zurückkehren. Sollten Aasreste oder anderes im Nest liegen, dann werden wir auch diese Informationen notieren. Außerdem werden natürlich die genauen GPS-Daten des Nestes, die Teilnehmer an der Beringung, Uhrzeit etc. aufgeschrieben. Aus Neugierde bin ich die Leiter auch schnell hochgeklettert, um mir das Geiernest ansehen zu können. Ein beeindruckender Anblick mit toller Aussicht. Zu schade, dass ich mich nicht getraut hatte die Kamera mitzuschleppen, aber ich wollte erstmal schauen wie wackelig die Leiter ist. Wie gut, dass es mit Sicherheit nicht das letzte Geiernest gewesen ist!
Entlang der Riesendünen ging es weiter zum nächsten Nest. Die Vegetation ist in der Wüste natürlich sehr sperrlich, so dass wir teilweise große Strecken zwischen den einzelnen Nestern werden fahren müssen.
Von allen Gegenden, die ich auf zwei früheren Namibia-Reisen bereits kennengelernt hatte, ist mir Sossusvlei mit seinen roten Riesendünen am meisten in Erinnerung geblieben. Vor allem morgens und abends gibt es mit der tiefstehenden Sonne ein herrliches Schattenspiel, aber auch tagsüber finde ich die bis zu 200 m hohen Riesendünen einfach beeindruckend. Damals bin ich sogar eine "Touristendüne" auf dem schmalen Grat entlang hochgeklettert. Da geht es seitlich ganz schön steil bergab...
Das nächste Geiernest, aber leider kein Geier da. Aus dem Flieger lässt sich natürlich nicht 100%ig erkennen, ob ein Nest wirklich noch bewohnt ist oder nur erwachsene Geier dort rumgesessen und sich ausgeruht haben. Viele Bäume aus bisherigen Brutjahren wurde übrigens bereits mit Nummern versehen, um bessere Auswertungen erstellen zu können. Die Baumnummern werden auf den Dokumenten der Küken notiert. Kommen wir zu einem neuen Brutbaum, dann bekommt dieser eine neue Nummernplakette in den Stamm genagelt.
In der Wüste, wo der Sand nicht ganz so tief ist, bleiben Autospuren leider für Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte, sichtbar. Daher versuchen wir auf den Spuren der Vorjahre zu fahren, auch wenn wir dafür einige Kilometer Umweg in Kauf nehmen. Anhand der Wildtierfußspuren lässt sich aber gut erkennen, dass die Tiere gerne Autospuren als Wanderrouten nutzen, weil dort der Boden schon geebnet ist. Touristen dürfen hier natürlich nicht fahren.
In Sossusvlei sind aufgrund des unerbitterlichen Wassermangels und Temperaturen jenseits der 40 Grad viele Bäume abgestorben, was dieser Gegend allerdings einen besondern Charme verleit und für tolle Fotomotive sorgt.
Eine Geierfeder im Sand, auf zum nächsten Küken!
Nestkontrolle per Kamera, aber leider kein Küken da.
Auf der Weiterfahrt sahen wir plötzlich ein gutes Dutzend Geier am Himmel kreisen und in der Ferne ein weiteres Dutzend auf dem Boden sitzen.
Viel zu weit weg zum Fotografieren, aber auf der Suche nach Wingtags von älteren Vögeln fuhren wir vorsichtig in ihre Richtung.
Leider sind Ohrengeier viel zu schreckhaft, so dass sie nach und nach alle wegflatterten. Trotzdem wollten wir nachschauen, was ihre Versammlung einberufen hatte.
Mitten in der Steppe fanden wir schließlich die Überreste eines abgenagten, gerupften Straußes. Armer Vogel, aber ich hoffe er hat den Geiern gut geschmeckt, wenn er schon sterben musste.
Kurz darauf fuhren wir zurück zum Flugplatz und nahmen Abschied von den netten Piloten, bevor die Geierberingung nach einer kurzen Mittagspause weitergehen sollte.

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