Dienstag, 11. August 2020

„Mama-Drohne“ füttert Gänsegeier-Halbwaisen

Es gibt manche Geschichten aus der Geierwelt, die einfach nur unglaublich rührend sind.

Um die Gänsegeier-Population in Israel steht es seit Jahren sehr schlecht. Während es in den späten 50er-Jahren noch hunderte Gänsegeier-Brutpaare über das ganze Land verteilt gab, sank die Zahl auf 120 Brutpaare Anfang der 2000er-Jahre. Heute sind weniger als 60 Brutpaare übrig und der Gänsegeier gilt in Israel und dem östlichen Mittelmeerraum als vom Aussterben bedrohte Tierart. Hauptursache hierfür sind vorwiegend Massenvergiftungen, wenn Farmer Giftköder gegen Raubtiere auslegen, um ihre Nutztiere zu schützen. Wie überall weltweit sind Geier hierbei Kollateralschäden, die billigend in Kauf genommen werden. Der letzte große Vorfall ereignete sich im Mai 2019, als auf den Golanhöhen 8 Gänsegeier starben und damit fast die gesamte dortige Population ausgerottet wurde. 1998 ereignete sich der schlimmste Vorfall des Landes, als mit einem Schlag sogar über 40 Geier nach dem Verzehr eines vergifteten Kadavers starben. Diese erschreckenden Zahlen zeigen, dass jedes einzelne Geierleben in Israel ganz besonders wertvoll ist.

Die Geschichte begann Ende November 2019, als zu Beginn der Brutsaison das erfahrene Brutpaar K70 (Weibchen) und T99 (Männchen) vor der Nest-Cam der Israel Nature and Park Authority erschien. Zunächst zeigten sie keine Anzeichen für Brutverhalten. Erst Ende Dezember begannen sie zu flirten, zu kopulieren und bauten schließlich ein Nest. In den Abendstunden des 19.01.2020 oder am frühen Morgen des 20.01. legten sie ihr einziges Ei, aus dem am 12.03. ein gesundes Küken schlüpfte. Beide Elterngeier wechselten sich mit der Nahrungssuche ab, fütterten das Kleine aufopferungsvoll und verteidigten es vor Eindringlingen auf ihrer Nistplattform in einer Felswand. Das kleine Küken entwickelte sich gut. Der Schicksalsschlag ereignete sich am 04.06., als die Geiermutter mit einer Stromleitung kollidierte und an Folgen eines Stromschlags während der Kollision verstarb. Der Vater alleine konnte nicht genug Futter für die gesunde Entwicklung des Jungtieres herbeischaffen, wie die Geierschützer, die das Drama beobachtet hatten, schnell feststellten. Normalerweise wechseln sich Geiereltern bei der Futtersuche für das Jungtier ab, damit immer ein Geier auf das Jungtier aufpassen und gleichzeitig selber etwas vom Futter verdauen kann. Es reicht ja nicht nur ein Jungtier durchzubringen, sondern die Elterngeier müssen natürlich auch selber bei Kräften bleiben. Stirbt in der Natur ein Elterngeier, so hat der andere allein kaum eine Chance ein schnell wachsendes Jungtier großzuziehen.

Hungriges Gänsegeier-Jungtier (c) Israel Nature and Park Authority, VCF-Webseite

Nachdem die Geierschützer das Nest eine Weile im Auge behielten wurde schnell klar, dass der Geiervater allein nicht genügend Futter zum Nest bringen kann. Die Geierschützer wollten das Schicksal der stark bedrohten Gänsegeier nicht tatenlos hinnehmen und überlegten, wie sie eingreifen könnten. Zunächst wurde überlegt das Küken aus der Felswand zu holen und in einer sicheren Voliere aufzuziehen. Allerdings wird dadurch eine spätere Auswilderung unter Umständen negativ beeinflusst. Zum Glück hatte jemand eine ungewöhnliche Idee, die jedoch extrem logisch und erfolgsversprechend klang: Eine Drohne könnte regelmäßig Futter zum Nest in der Felswand fliegen und dem Junggeier somit das Aufwachsen in freier Wildbahn ermöglichen. Das israelische Militär unterstützte diese Idee, errichtete einen Nachbau des Nests in der Felswand auf ihrem Übungsgelände und testete verschiedene Flugtechniken mit einer militärischen Drohne. Nachdem die bestmögliche Flugtechnik entwickelt wurde, ging die „Mama-Drohne“ in den Einsatz und brachte die ersten Aasbrocken zum hungrigen Geierküken. 

Drohne (links) im Anflug auf das Geiernest (c) Israel Nature and Park Authority, VCF-Webseite

Alles klappte perfekt, das Küken ließ sich durch die Drohne nicht verschrecken und vertilgte glücklich seine Aasration. Von da an wurde der Aaslieferdienst alle zwei bis drei Tage in Anspruch genommen. Einige Wochen später, am 26.07.2020, startete der Junggeier im Alter von 136 Tagen zu seinem ersten Flug.

Das Geierküken frisst das Aas vom Lieferdienst (c) Israel Nature and Park Authority, VCF-Webseite

Was für eine grandiose Geschichte!!! Ich bin einfach restlos begeistert, wie sehr sich nicht nur Geierschützer sondern sogar das Militär für die Rettung eines einzigen Gänsegeier-Jungtieres eingesetzt haben! Selbst beim wiederholten Lesen der Geschichte bin ich noch immer völlig ergriffen von so viel Leidenschaft für die Rettung einer bedrohten Tierart. Vielen, vielen Dank an alle Beteiligten dieser Mama-Drohnen-Rettungsmission!!!

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