Freitag, 28. August 2020

Dolan Fire in Big Sur zerstört Schutzgebiet für Kalifornische Kondore

Bereits am 19.08.2020 erfuhr ich über einen meiner diversen Newsletter, dass sich das außer Kontrolle geratene Dolan Feuer (Engl. „Dolan Fire“) in Big Sur rasch ausbreitet. Big Sur ist eines der wichtigsten Schutzgebiete der seltenen Kalifornischen Kondore und wird von der Ventana Wildlife Society (VWS) zur Wiederansiedlung des Kalifornischen Kondors genutzt. Da sommerliche Buschbrände in Kalifornien leider keine Seltenheit sind, hatte sich das VWS- Team bereits gut vorbereitet, um das Kondorgebäude und das Personal zu schützen. Zum Glück befanden sich in dem Kondorgebäude, in dem verletzte Tiere aufgepäppelt und alle wilden Kondore der Big Sur Population zweimal jährlich zum Gesundheitscheck eingefangen und untersucht werden, bei Ausbruch des Feuers keine Kondore mehr. Die schlechte Nachricht war, dass wilde Kondore regelmäßig am Kondorgebäude vorbeifliegen und auch einige in der Nähe des Buschfeuers brüten.

Bereits 2008 gab es ein ähnlich großes Feuer, dass das Kondorgebäude niederbrannte. Der Status von drei Jungtieren war lange Zeit ungewiss, bis endlich die gute Nachricht kam: Wie durch ein Wunder hatten sie alle in ihren Nestern überlebt. Insgesamt waren in den letzten 2 Jahrzehnten 6 der 41 Kondornester in Kalifornien von zwei Riesenfeuern betroffen. 5 dieser 6 betroffenen Nester blieben unbeschadet und die Küken überlebten. Zwar starben in denselben 2 Jahrzehnten sieben (fast) erwachsene Kondore nachweislich an den Folgen von Buschbränden, aber im Vergleich dazu starben insgesamt 93 Kondore an Bleivergiftung, 49 davon in Zentral- und Süd-Kalifornien.

Momentan ist der Verbleib einiger Küken ungewiss, darunter „Iniko“, ein flauschiges Küken, das am 25.04.2020 schlüpfte, von der Öffentlichkeit benannt wurde und per Webcam beim Aufwachsen bewundert werden kann. Der Name Iniko stammt aus Nigeria und bedeutet so viel wie „geboren in schwierigen Zeiten“. Wenn das mal keine traurige Vorsehung war. 

Iniko's Eltern in früheren Zeiten (c) Ventana Wildlife Society

Die Webcams der VWS liefern nicht nur einen tollen Blick in Kondor- Nester oder Futterstellen, sondern dienten diesmal auch als Frühwarnsystem für Geierfreunde, Nachbarn und die Feuerwehr. Am 20.08. konnten über eine der Webcams mehrere Kalifornische Kondor trinkend an einer Wasserstelle nahe des Kondorgebäudes gesichtet werden, während im Hintergrund das Dolan Fire näher rückte.

Aufgrund der prekären Lage kamen die Newsletter und Infos per Facebook fast täglich und alle Kondorfreunde hielten den Atem an, als am 21.08. das Kondorgebäude vor laufenden Kameras niederbrannte und die Kameras dort schließlich ausfielen.

Das Kondorgebäude erliegt den Flammen (c) Ventana Wildlife Society

Am Abend zuvor war bereits die Webcam, die Inikos Nest filmte, ausgefallen. Über den Verbleib von Iniko sowie seiner Mutter Redwood Queen und seinem Vater Kingpin kann nur gemutmaßt werden. Aufgrund des unkontrollierten Feuers kann natürlich niemand auf absehbare Zeit vor Ort nach dem Rechten sehen.

Aufgrund des Ausfalls diverser Webcams und Probleme bei der Ortung der Kondore per Telemetrie durch die Hitze des Feuers ist nicht klar, wie viele Kondore dem Feuer bereits zum Opfer gefallen sind. Stand heute fehlt die Spur von 10 Kalifornischen Kondoren, das entspricht 10 % der Population Zentral-Kaliforniens. Außerdem ist das Schicksal von vier jungen Küken in ihren Nestern ungewiss. Mag sein, dass diese Zahlen gering erscheinen. Im Vergleich zur Bevölkerung der USA entspräche dies aber dem spurlosen Verschwinden von 33.000.000 Amerikanern. Das klingt doch direkt ganz anders!

Dienstag, 25. August 2020

Gänsegeier-Fossil in Italien entdeckt

Auf der Webseite der Vulture Conservation Foundation gibt es immer wieder tolle Zusammenfassungen interessanter Fachartikel zu entdecken.

Sedimente vulkanischen Ursprungs sind normalerweise nicht geeignet, um den Versteinerungsprozess organischen Materials (Hart- wie Weichteile) zu fördern. Manchmal gibt es aber glückliche Ausnahmen und es können Tierrückstände entdeckt werden. Wie in diesem Fall, als Kopf und Hals eines versteinerten Gänsegeiers aus dem späten Pleistozän freigelegt wurden. Ich musste „Pleistozän“ erstmal nachschlagen. Laut Wiki ist es ein Zeitabschnitt in der Erdgeschichte von vor etwa 2,588 Millionen Jahren bis vor etwa 11.700 Jahren!

Virtual section of (a) Section sequence following the antero-posterior direction of the head and (b) section sequence in lateral view of the head. Scale bars 5 cm (c) (Iurino, Bellucci, Schreve and Sardella, 2014), VCF-Webseite

Der spektakuläre Fund ereignete sich am Alban Hills Vulkan südöstliche von Rom, Italien. Und wurde mittels Computertomographie (CT) analysiert. Das CT half dabei ein 3D-Modell des Geiers zu erstellen und Informationen über sein Geschlecht, Alter, Gewicht und die Todesursache herauszufinden.

Virtual cast of Head in lateral view (right side), (b) head in frontal view and (c) head in lateral view (left side). (c) (Iurino, Bellucci, Schreve and Sardella, 2014), VCF-Webseite

Das Forschungsteam bestätigt, dass es sich um die beste Weichteilerhaltung eines Fossils überhaupt handelt (Stand 2014). Es sind keine Spuren von Verbrennungen sichtbar, wie es sie z.B. bei früheren Funden am Vesuv gegeben hat. Der arme Pechvogel ist vermutlich durch eine Staubwolke erstickt und anschließend von einem relativ kalten pyroklastischen Strom (< 100 °C) verschlungen worden. Aufgrund der Klarheit anatomische Details und des Fehlens von Verwesungsspuren, ist der pyroklastische Strom sehr wahrscheinlich kurz nach dem Tod des Geiers durch dessen Mund eingeflossen und hat die Mundhöhle gefüllt.

Weitere Untersuchungen und Abgleich mit Datenbanken ergab, dass es sich um ein etwa 5 Jahre altes Männchen mit einem Gewicht von gut 7 kg handelte.

Quelle: Iurino, D., Bellucci, L., Schreve, D. and Sardella, R., 2014. Exceptional soft tissue fossilization of a Pleistocene vulture (Gyps fulvus): new evidence for emplacementtemperatures of pyroclastic flow deposits. Quaternary Science Reviews, 96, pp.180-187. doi.org/10.1016/j.quascirev.2014.04.024

Montag, 24. August 2020

Wings of Change

Da aufgrund dieser dämlichen Corona-Pandemie auch im Sommer keine Geierurlaube möglich sind, musse ich langsam anfangen Urlaubstage zu nehmen. Außerdem fühle ich mich bereits ziemlich ausgebrannt. Zum Glück stehen die Niederlande noch nicht auf der Liste der Risikogebiete, so dass ich zwei Wochen nach Egmond aan Zee gefahren bin. So lange war ich zwar noch nie am Stück dort, aber immerhin kenne ich mich dort aus, habe Lust einige neue Orte zu erkunden und kann mich in meinem langjährigen Privatappartment sicher fühlen.

Dennoch konnte ich mir ein Geierentzug-Gejammere auf Facebook nicht verkneifen! Zu meinem Glück entdeckte Leon Arends, Chef der Stiftung "Wings of Change", meine Nachricht und lud mich umgehend ein Zeit mit seinen Geiern zu verbringen! Wings of Change ist in Nordholland angesiedelt, in Andijk nahe Enkhuizen, also etwa 50 Minuten von Egmond aan Zee entfernt. Ich finde es immer wieder spannend die Gelegenheit zu bekommen Facebook-Geierfreunde auch einmal live kennen zu lernen. Daher stand ich bereits zwei Tage später auf der Matte.

Da Leon leider zunächst einen Termin dazwischen bekommen hatte, führte sein Kollege Hielko mit in World of Wings herum und stellte mir die zahllosen gefiederten Anwohner vor. Hielko hat bereits in vielen spannenden Naturschutzprojekten weltweit gearbeitet und dabei auch VulPro vor Ort kennen gelernt. Ich glaube wir hatten uns dabei nur um wenige Wochen verpasst. In jedem Fall hatten wir direkt einen guten Draht zueinander und schon bald lernte ich auch die Kappengeier, Weißrückengeier und einen verhutzelten Truthahngeier kennen.

Zu den jungen Kappengeier durfte ich in die Voliere und schon bald kamen sie neugierig angerannt und wollten Schnürsenkel kauen. Typisch Geier! Auch wenn ich viel zu lange keine mehr um mich hatte, ist ihr Verhalten sofort wieder absolut vertraut!

Die beiden Kappengeier werden auch für Flugshows trainiert. Gut, auf das Thema gehe ich besser nicht näher ein. In jedem Fall konnte ich mit Hielko offen über meine Vorbehalte gegenüber Flugshows reden, ohne dass die Stimmung sofort kippte. Und hier bei Wings of Change sehe ich in jedem Fall auch den ganz besonderen Aspekt:

Wings of Change ist nicht nur eine Auffangstation für verletzte Vögel aus ganz Holland, sondern setzt sich auch für schutzbedürftige Zielgruppen, zum Beispiel Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen, ein. Da bekommt das Wortspiel "Wings of Change" direkt eine noch stärkere Bedeutung. Menschen mit Behinderungen können sich im Aufenthaltszentrum von Wings of Change treffen und Zeit mit den Vögeln verbringen, sie sogar wenn möglich auf den Arm nehmen. Es ist nicht unbekannt, dass viele Tiere eine therapeutische Wirkung auf Menschen haben und hier gibt es die Möglichkeit dazu! Und wenn es diesen Menschen Freude bereitet majestätische Geier, Eulen, Adler oder andere Vögel beim Fliegen zu beobachten, dann ist das ein schöner Grund für Flugshows bzw. Flugtraining.

Der hutzelige Truthahngeier, der still und in sich gekehrt auf dem Boden einer Voliere saß, alarmierte direkt meinen Beschützerinstinkt. Der Arme war von seinem Vorbesitzer unter miserablen Bedingungen gehalten worden. Als er in die Obhut von Wings of Change kam, war sein kahles Köpfchen verbrannt und die Krallen teilweise abgefroren. So eine Sauerei!!! Ich hoffe, dass er nicht nur körperlich wieder aufgepäppelt werden kann und sich irgendwann von seinem Trauma erholt.

Wings of Change setzt sich neben den bereits genannten Punkten auch für Aufklärungskampagnen zum Umweltschutz und für bedrohte Greifvogelarten ein. Außerdem wird viel daran gearbeitet die Volieren zu optimieren und den Vögeln Spiel- und Trainingsmaterial zur Verfügung zu stellen. Unterstützt wird das Kernteam durch viele freiwillige Helfer, erfahrene Tierpfleger und Vogelexperten.

In Nicht-Corona-Zeiten finden zudem Workshops statt und man kann für einen halben Tag die Arbeit als Falkner kennenlernen.

Für mich war dieser spontane, unerwartete Ausflug eine schöne Gelegenheit ein wirklich tolles Projekt kennen zu lernen! Meinen herzlichen Dank an Leon, Hielko und das gesamte Wings of Change-Team!!!

Dienstag, 18. August 2020

Update zur Geiermassenvergiftung in Guinea-Bissau

Anfang des Jahres ereignete sich die größte Geiermassenvergiftung aller Zeiten im afrikanischen Guinea-Bissau, bei der über 2.000 der vom Aussterben bedrohten Kappengeier dahingerafft wurden. Die Vulture Conservation Foundation (VCF), die IUCN Vulture Specialist Group sowie BirdLife International haben sich aktiv in die Ermittlungen zu dem Vorfall eingebracht und die Regierungsvertreter dringlichst aufgefordert zu handeln und den Vorfall aufzuklären. Die toxikologischen und strafrechtlichen Untersuchungen haben ergeben, dass die Geier eindeutig zur Glauben-basierten Nutzung vergiftet wurden. Kürzlich wurden endlich einige mögliche Täter identifiziert, die Ermittlungen laufen aber noch weiter.

Ein Haufen in Guinea-Bissau vergifteter Geier (c) Mohamed Henriques, VCF-Webseite

Zwischen Februar und April starben innerhalb von 3 Monaten über 2.000 Kappengeier im Osten des kleinen Landes. Während die toten Geier eingesammelt und erste Untersuchungen durchgeführt wurden, konnten viele bewusst ausgelegte Giftköder gefunden werden. Zeugenaussagen bestätigten dies. Die Giftköder wurden nahe einiger Dörfer ausgelegt, um nach dem Verenden der Geier deren Köpfe abschneiden zu können. Diese gelten in der traditionellen Medizin vielerorts als Glückbringer und sollen über spezielle Kräfte verfügen. Insgesamt wurden über 200 tote, kopflose Geier aufgefunden, die diese These unterstützen. Es wird berichtet, dass die Nachfrage nach Geierkörperteilen in den Nachbarländern wie dem Senegal stark gestiegen ist.

Kurz vor dem Frühjahrs-Lockdown konnte die VCF mit einigen Partnern 3 Kappengeier-Kadaver mit dem letzten Flug nach Lissabon bringen, um an der Universität von Lissabon eine Autopsie durchführen zu können. Bei der ersten Untersuchung wurde das Insektizid Carbamat identifiziert, das zum Tode des Geiers führte. Die zweite Untersuchung bestätigte das Insektizid Methiocarb als genaue Todesursache. Carbamat-Insektizide haben verheerende Auswirkungen auf die Natur und sind daher in Europa verboten. In Afrika werden sie allerdings noch weit verbreitet genutzt, darunter auch in Guinea-Bissau.

Toter Kappengeier (c) Mohamed Henriques, VCF-Webseite

Der Großteil der afrikanischen Geierpopulation steckt in großen Schwierigkeiten, vorwiegend aufgrund von Vergiftungen. Heute sind bereits sieben Geierarten Afrikas vom Aussterben bedroht. Der illegale Handel mit Geierkörperteilen ist Ursache für ca. 29 % der Geierverluste. In Guinea-Bissau leben schätzungsweise 20 % der weltweiten Kappengeier-Population. Nach diesem schrecklichen Massensterben hat sich der Gesamt-Kappengeier-Bestand um 1 % dezimiert. Solche enormen Verluste können kaum wieder ausgeglichen werden.

Mittwoch, 12. August 2020

Windkraftanlage mit schwarzem Rotorblatt reduziert Kollisionen

In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde nachgewiesen, dass sich Kollisionen von großen Raubvögeln mit Windkraftanlagen um etwa 70 % reduzieren lassen, wenn eine der Rotorenblätter schwarz angestrichen wird. Damit könnten also auch vielen Geiern das Leben gerettet werden.

Windturbine im Smøla Windpark mit schwarzem Rotorblatt (c) May et al, 2020, VCF-Webseite

Nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels ist die Nachfrage nach Erneuerbaren Energien größer denn je. Daher schießen zahllose Windparks aus dem Boden, die leider häufig in Lebensräumen oder sogar entlang der Migrationsrouten vieler Vögel und Flugtiere liegen. Vögel können im Flug die beweglichen Rotorblätter den Windkraftanlagen nicht sehen und so kommt es leider sehr, sehr häufig zu Kollisionen. Dabei werden die Vögel entweder direkt „geshreddert“ oder sie brechen sich die Flügel, stürzen ab und verenden elendig. Nicht wenige dieser Tiere sind (stark) bedroht, darunter auch diverse Geierarten.

In Zusammenarbeit mit Artenschützern und Energietechnik-Experten gilt es nun herauszufinden, wie Windkraftanlagen zur Erzeugung grünen Stroms so modifiziert werden können, damit sie auch in Einklang mit dem Naturschutz existieren können. In Einzelfällen gibt es bereits die Möglichkeit eines kurzfristigen Shut-downs der einzelnen Windkraftanlagen, sobald sich große, geschützte Vögel nähern. Dieses Verfahren ist allerdings sehr kostenintensiv, da nicht nur gute Radargeräte angeschafft und installiert werden müssen, sondern es muss auch ausgebildetes Personal an verschiedenen Beobachtungsplätzen geben, um Vögel im Flug zu identifizieren und den Shut-down zu veranlassen.

Forscher im Smøla Windpark auf der gleichnamigen Insel in Norwegen testeten eine weitere Schutzmethode. An vier einzelnen Windkraftanlagen, an denen es bereits nachweislich zu Vogelkollisionen kam, wurde im August 2013 jeweils eines der drei Rotorblätter schwarz angestrichen. 4 benachbarte Windkraftanlagen, an denen es ebenfalls bereits zu Kollisionen kam, wurden hingegen als Abgleich einheitlich weiß belassen. Die Kollisionen im Windpark wurden zwischen Anfang 2006 und Ende 2016 genauestens dokumentiert, also 7,5 Jahre ohne und 3,5 Jahre mit schwarzem Anstrich.

Entlang der 8 Studien-Windkraftanlagen wurden in den 11 Jahren insgesamt 1.275 Kontrollgänge mit Hilfe eines speziell trainierten Spürhundes durchgeführt. Dabei wurden 82 Vogelkadaver unterhalb der Windkraftanlagen gefunden. Es zeigte sich, dass nach Anstrich der 4 Test-Windkraftanlagen die Zahl der Kollisionsopfer dort um über 70 % zurückging, während an den 4 weißen Vergleichs-Windkraftanlagen weiterhin hohe Opferzahlen zu beklagen waren.

Dieses Vorgehen sollte schnellstmöglich an anderen Windparks mit mehr angestrichenen Windkraftanlagen durchgeführt werden, um die Übertragbarkeit der tollen Resultate zu verifizieren!

Quelle: May, R., Nygård, T., Falkdalen, U., Åström, J., Hamre, Ø., & Stokke, B. (2020). Paint it black: Efficacy of increased wind turbine rotor blade visibility to reduce avian fatalities. Ecology And Evolution. doi: 10.1002/ece3.6592

Dienstag, 11. August 2020

„Mama-Drohne“ füttert Gänsegeier-Halbwaisen

Es gibt manche Geschichten aus der Geierwelt, die einfach nur unglaublich rührend sind.

Um die Gänsegeier-Population in Israel steht es seit Jahren sehr schlecht. Während es in den späten 50er-Jahren noch hunderte Gänsegeier-Brutpaare über das ganze Land verteilt gab, sank die Zahl auf 120 Brutpaare Anfang der 2000er-Jahre. Heute sind weniger als 60 Brutpaare übrig und der Gänsegeier gilt in Israel und dem östlichen Mittelmeerraum als vom Aussterben bedrohte Tierart. Hauptursache hierfür sind vorwiegend Massenvergiftungen, wenn Farmer Giftköder gegen Raubtiere auslegen, um ihre Nutztiere zu schützen. Wie überall weltweit sind Geier hierbei Kollateralschäden, die billigend in Kauf genommen werden. Der letzte große Vorfall ereignete sich im Mai 2019, als auf den Golanhöhen 8 Gänsegeier starben und damit fast die gesamte dortige Population ausgerottet wurde. 1998 ereignete sich der schlimmste Vorfall des Landes, als mit einem Schlag sogar über 40 Geier nach dem Verzehr eines vergifteten Kadavers starben. Diese erschreckenden Zahlen zeigen, dass jedes einzelne Geierleben in Israel ganz besonders wertvoll ist.

Die Geschichte begann Ende November 2019, als zu Beginn der Brutsaison das erfahrene Brutpaar K70 (Weibchen) und T99 (Männchen) vor der Nest-Cam der Israel Nature and Park Authority erschien. Zunächst zeigten sie keine Anzeichen für Brutverhalten. Erst Ende Dezember begannen sie zu flirten, zu kopulieren und bauten schließlich ein Nest. In den Abendstunden des 19.01.2020 oder am frühen Morgen des 20.01. legten sie ihr einziges Ei, aus dem am 12.03. ein gesundes Küken schlüpfte. Beide Elterngeier wechselten sich mit der Nahrungssuche ab, fütterten das Kleine aufopferungsvoll und verteidigten es vor Eindringlingen auf ihrer Nistplattform in einer Felswand. Das kleine Küken entwickelte sich gut. Der Schicksalsschlag ereignete sich am 04.06., als die Geiermutter mit einer Stromleitung kollidierte und an Folgen eines Stromschlags während der Kollision verstarb. Der Vater alleine konnte nicht genug Futter für die gesunde Entwicklung des Jungtieres herbeischaffen, wie die Geierschützer, die das Drama beobachtet hatten, schnell feststellten. Normalerweise wechseln sich Geiereltern bei der Futtersuche für das Jungtier ab, damit immer ein Geier auf das Jungtier aufpassen und gleichzeitig selber etwas vom Futter verdauen kann. Es reicht ja nicht nur ein Jungtier durchzubringen, sondern die Elterngeier müssen natürlich auch selber bei Kräften bleiben. Stirbt in der Natur ein Elterngeier, so hat der andere allein kaum eine Chance ein schnell wachsendes Jungtier großzuziehen.

Hungriges Gänsegeier-Jungtier (c) Israel Nature and Park Authority, VCF-Webseite

Nachdem die Geierschützer das Nest eine Weile im Auge behielten wurde schnell klar, dass der Geiervater allein nicht genügend Futter zum Nest bringen kann. Die Geierschützer wollten das Schicksal der stark bedrohten Gänsegeier nicht tatenlos hinnehmen und überlegten, wie sie eingreifen könnten. Zunächst wurde überlegt das Küken aus der Felswand zu holen und in einer sicheren Voliere aufzuziehen. Allerdings wird dadurch eine spätere Auswilderung unter Umständen negativ beeinflusst. Zum Glück hatte jemand eine ungewöhnliche Idee, die jedoch extrem logisch und erfolgsversprechend klang: Eine Drohne könnte regelmäßig Futter zum Nest in der Felswand fliegen und dem Junggeier somit das Aufwachsen in freier Wildbahn ermöglichen. Das israelische Militär unterstützte diese Idee, errichtete einen Nachbau des Nests in der Felswand auf ihrem Übungsgelände und testete verschiedene Flugtechniken mit einer militärischen Drohne. Nachdem die bestmögliche Flugtechnik entwickelt wurde, ging die „Mama-Drohne“ in den Einsatz und brachte die ersten Aasbrocken zum hungrigen Geierküken. 

Drohne (links) im Anflug auf das Geiernest (c) Israel Nature and Park Authority, VCF-Webseite

Alles klappte perfekt, das Küken ließ sich durch die Drohne nicht verschrecken und vertilgte glücklich seine Aasration. Von da an wurde der Aaslieferdienst alle zwei bis drei Tage in Anspruch genommen. Einige Wochen später, am 26.07.2020, startete der Junggeier im Alter von 136 Tagen zu seinem ersten Flug.

Das Geierküken frisst das Aas vom Lieferdienst (c) Israel Nature and Park Authority, VCF-Webseite

Was für eine grandiose Geschichte!!! Ich bin einfach restlos begeistert, wie sehr sich nicht nur Geierschützer sondern sogar das Militär für die Rettung eines einzigen Gänsegeier-Jungtieres eingesetzt haben! Selbst beim wiederholten Lesen der Geschichte bin ich noch immer völlig ergriffen von so viel Leidenschaft für die Rettung einer bedrohten Tierart. Vielen, vielen Dank an alle Beteiligten dieser Mama-Drohnen-Rettungsmission!!!