Freitag, 1. März 2013

Ein Geier möchte um die Welt reisen IX

Nachdem Gänsegeier Travis, der Geier, der um die Welt reisen möchte, seine Neuweltgeier-Verwandtschaft in Südamerika und Nordamerika hinter sich gelassen hatte, ging es Anfang März zu seinen näheren Altweltgeier-Verwandten nach Asien - genau Nepal.
Bei Parahawking in Pokhara lernte er die wohl weltweit berühmtesten Schmutzgeier Bob und Kevin kennen, die ihn sogleich liebevoll begrüßten und ihm das Maya Devi Village zeigten, wo sie herrlich am See gelegen leben.
Da der kleine Travis sehr wissbegierig ist, wollte er natürlich sofort im Buch "Birds of Nepal" nachschlagen, welche Geierarten es hier überhaupt gibt. Er staunte nicht schlecht, als er zwei ganze Seiten voller Abbildungen der 8 Geierarten Nepals entdeckte.
Seite 1: Bartgeier, Schmutzgeier, Bengalgeier, Indiengeier
Seite 2: Schneegeier, Gänsegeier, Mönchsgeier, Kahlkopfgeier
Da jedoch viele Geierarten unterschiedliche Englische und Deutsche Bezeichnungen haben, hat der fleißig Travis sich erstmal eine Liste erstellt, um nicht durcheinander zu kommen. In der folgenden Tabelle hat er die Englischen Namen aus dem Buch "Birds of Nepal" übernommen und weitere Englische Bezeichnungen ergänzt, die dem ein oder anderen vielleicht geläufiger sind. Dazu hat er dann noch die geläufigen Deutschen Bezeichungen sowie den Lateinischen Namen hinzugefügt. Besonders wichtig war ihm aber der Hinweis auf den Stand 2012 der Roten Liste (IUCN), nach dem er die Tabelle sortiert hat. Drei Geierarten (Bengalgeier, Indiengeier und Kahlkopfgeier) sind besonders kritisch bedroht und die Schmutzgeier folgen als vierte Art.
Vom Chef von Parahawking hat Travis erfahren, dass die ersten vier Geierarten innerhalb der nächsten 7 Jahre von dieser Liste verschwinden, sprich aussterben, werden, wenn die Menschen hier nicht aufhören das für Geier so tötliche Schmerzmittel Diclofenac für ihre Nutztiere zu verwenden. Größtenteils aufgrund dieser Droge sind in den letzten 10 Jahren gut 99,9 % aller Geier in Nepal gestorben :-( Bei sieben von acht Geierarten Nepals ist der Trend sinkend. Nur bei Gänsegeier ist er halbwegs stabil - was allerdings nicht so bleiben muss. Das macht Travis natürlich sehr traurig und er verspricht sich in seinen sechs Wochen hier in Nepal so gut es geht für den Geierschutz einzusetzen und möglichst viele Menschen über das Geiersterben durch Diclofenac zu informieren.
Nebenbei lernt er den Alltag von Bob und Kevin kennen. Jeden Morgen werden die beiden gewogen. Der ältere Kevin bringt ca. 1730 g auf die Waage, der jüngere Kevin 1670 g. Travis ist noch ein Winzling und wiegt nur 38 g.
Auf einer Tafel werden die Gewichte aller Vögel, also auch der Schwarzen Milane Sapana, Goggles und Brad notiert. Meistens bleibt das Gewicht des Vortages zum Vergleich stehen, aber in jedem Fall werden alle Gewichte in einem Tagebuch notiert. Natürlich wird das Futter dem jeweiligen Gewicht angepasst. Wird ein Vogel zu leicht, dann gibt es mehr Futter. Wiegt er zu viel, dann ist Diät angesagt. Die Futtermenge des Vortages (in g) wird in Kringeln notiert.
Da Travis einmal groß und stark werden soll, bekommt er natürlich besonders viele Aasbröckchen. Und eine Entwurmung obendrauf. Die Aasbröckchen bestehen aus kleingeschreddertem Huhn und Büffelfleisch. Hin und wieder gibts auch für Travis ein kleines Hühnerknöchelchen, damit er genug Vitamine und Calcium erhält.
Danach gehts für den Rest des Tages raus in die Sonne auf die Sitzstangen. Geier mögen die Sonne. Sie erhalten beim Sonnenbaden noch mehr wichtige Vitamine für kräftige, schwungvolle Federn.
Hin und wieder kommen Touristen in den Garten, um die Vögel zu bewundern. Von Travis ist natürlich jeder entzückt!
Im Garten des Maya Devi Villages gibt es herrlich viel zu entdecken und zu spielen. Besonders die Gebetsfahnen mag Travis sehr. Immer wieder flattert er an den bunten Fähnchen vorbei. Zwar kann er die Gebete nicht lesen, aber hoffentlich handeln sie von dem Geierschutz in Nepal.
Am allermeisten hat ich Travis allerdings auf einen gemeinsamen Flug mit Bob oder Kevin gefreut. Drei Wochen hat er auf diesen großen Tag hingefiebert, bis er endlich mit Kevin und mir losziehen durfte. Per Taxi den Berg hinaus nach Sarangkot, ca. 1500 m über NN.
Sooo viele Paraglider und so viele Strippen, in denen sich der kleine Travis verfangen könnte. Lieber nicht drüber nachdenken und den vielen wilden Schmutzgeiern und Schneegeiern zuschauen, die über den Bergen kreisen und sich an den Glidern offenbar kaum stören.
Hin und wieder kann sich Travis es allerdings nicht verkneifen einen Glider in die Luft zu pusten, den die Piloten zuvor mühselig ordentlich auf der Wiese ausgelegt haben.
Bald geht es los!
Unsere Pilotin hat begeistert alle möglichen Sitzplätze für Travis während des Parahawking-Fluges ausprobiert. In meiner Hosentasche könnte der Arme ja nichts sehen, also irgendwo anders hin. Am besten an einen Platz, wo er mit auf den Fotos ist, die während des Fluges gemacht werden. Für einen Platz in erster Reihe nahm Travis sogar in Kauf, dass ein Seil einige Male um seinen langen Hals geknotet wurde, zur Sicherkeit. Dieses Seil wurde per Karabiner an meinen zahlreichen Gurten befestigt. Anschließend wurde Travis Kopf durch eine Schlaufe an meinem rechten Schultergurt gefedelt. Damit dürfte nichts mehr schiefgehen. Wollte ihm eigentlich einen Telemetrie-Sender um die Feder knoten, wie wir es bei Bob und Kevin vor jedem Flug tun, falls die beiden sich entschließen einmal nicht freiwillig heimzukehren. Aber auch ohne Peilsender schien die Verknotung sicher genug. Auf gehts!
Yippie, was für ein Spaß!!! Frei wie ein Geier durch die Lüfte schweben!!!
Und immer wieder Kevin mit Aasbröckchen auf den Handschuh locken.
Der Tandemflug hatte Travis so viel Spaß gemacht, dass er direkt nochmal fliegen wollte. In Lakeside hatte ich schon am ersten Tag diese Glider in perfekter Größe hängen sehen, in denen normalerweise ein kleines Stoffkarnickel fliegt. Irgendwann habe ich dann einfach mal nachgefragt, ob Karnickel und Travis kurz die Plätze tauschen dürfen. Wie immer hat sofort jeder Travis in sein Herz geschlossen und schon hat das Karnickel seinen Platz geräumt.
Genau das hatte ich mir für Travis in Nepal gewünscht! Einen Glider genau in seiner Größe!!! Würde ja zu gerne so einen Glider mit nach Hause nehmen, aber leider ist das nur Werbung für diverse Paragliding-Anbieter.
Natürlich ist Travis jetzt total stolz, dass er so kurz nach seinem allerersten Tandemflug sogar einen Soloflug geschafft hat! Da könnte er fast seine Flügelchen vergessen und sich lieber vom Glider durch die Lüfte tragen lassen. Aber nein, er weiß genau, dass niemals ein Paraglider auch nur annähernd so elegant wird fliegen können wie Travis und seine wilden Verwandten.
Ein paar Tage später ging es dann wieder in die Berge, diesmal allerdings nicht per Taxi, sondern in meinem Rucksack, während ich den Berg hochkraxeln musste. Aber das kenne ich ja schon...
Geschafft! Auf dem Berg an der Peace Pagoda angekommen. Zeit Travis freizulassen, damit er mit seinen wilden Schmutzgeier-Freunden spielen kann, die schon ungeduldig ihre Kreise um die Pagoda drehten.
Eine Frage kann wohl nur Buddha beantworten: Ist es offiziell eine Ehre oder eher ein Zeichen eines schlechten Lebensstils, wenn man als Geier wiedergeboren wird? Travis und ich brauchen da nicht lange zu überlegen... aber die buddhistische Antwort würde uns sehr interessieren!
Auf dem Rückweg gings wieder mit dem Paddelboot über den See...
...und netterweise paddelte Travis tatkräftig mit!
Am Ende des Tages führte er stolz seinen neuen Halsschmuck aus. Dieser ist aber nur für besondere Anlässe und kommt an die hübsche Blumenkette von Hawaii nicht wirklich heran.
Normalerweise schlummert Travis nachts und spart seine Kräfte für neue Abenteuer. Seit einer Weile hat er sich aber mit Fledermaus Baty angefreundet, die immer mal wieder in unserem Badezimmer am Duschkopf abhängt. Manchmal hängt er sich neben sie, aber das hält Travis nicht lange aus. Er mag es nicht, wenn alles Blut seinen langen Hals hinab in sein Köpfchen fließt. Als Baty ihn sogar in ihre Höhle einlud und ihn ihren Verwandten vorstellen wollte, traute sich Travis allerdings nicht aus meiner Tasche heraus. Es waren einfach zu viele Fledermäuse dort. Auch ein tapferer Gänsegeier kann durchaus eingeschüchtert werden.

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