Eigentlich sollte das Annual Bearded Vulture Meeting der Vulture Conservation Foundation (VCF) dieses Jahr vom 13.-15.11. in Parco Natura Viva, Italien, stattfinden. Für dieses Jahr hatte ich mir eine Teilnahme fest vorgenommen und als die Geierurlaube wegen Corona in weite Ferne rückten, war diese Konferenz irgendwie noch mein Hoffnungsschimmer für Ende des Jahres. Leider blieb mir auch dies nicht vergönnt, denn Anfang September musste die Konferenz endgültig abgesagt werden. Zu viele europäische Länder galten nach wie vor als Risikogebiete, von unnötigen Reisen wurde vielerorts abgeraten und auch Versammlungen ab einer bestimmten Personenzahl sind nicht mehr gestattet. Zu dem Annual Bearded Vulture Meeting reisen normalerweise gut 200 Leute aus den unterschiedlichsten Ländern an, dies ist in Corona-Zeiten leider einfach nicht möglich. Auch wenn die Absage natürlich die ganze Zeit im Raum stand, hatte ich doch irgendwie gehofft nach Italien fahren und ein paar Geierfreunde wiedersehen zu können. Echt frustrierend.
Netterweise hat die VCF die Bartgeier-Konferenz nicht komplett gecancelled, sondern immerhin ein dreistündiges Bearded Vulture Technical Webinar mit vielen spannenden Kurzvorträgen auf die Beine gestellt. Da ich mir den Tag sowieso bis zum Ende freigehalten hatte, war eine Teilnahme also kein Problem. Das Webinar wurde über ZOOM, Facebook & YouTube übertragen und im Vorfeld hatten sich über 250 Teilnehmer angemeldet. Darunter sogar ein Teilnehmer aus Australien!
Die Begrüßung und Moderation erfolgte durch Daniel Hegglin. Er gab einen kurzen Ausblick über die Agenda des heutigen Webinares und wies darauf hin, dass das Bartgeier-Wiederansiedlungsprojekt als Vorbild für viele Artenschutzprojekte gilt. Nur selten konnte eine ausgestorbene Tierart mit einer so geringen Reproduktion wieder flächendeckend – wie hier in den Alpen – angesiedelt werden.
Der erste Vortrag kam von Alex Llopis Dell, EEP-Koordinator und VCF Vulture Captive Breeding Manager. EEP steht für das Europäischen Erhaltungszuchtprogramme, an dem sich viele Naturschutzorganisationen, Zoos und Privatleute beteiligen. Er stellte die Ergebnisse des Brutjahres 2020 und die Erwartungen für die kommenden Jahre vor. Bei der Bartgeierzucht ist das Verpaaren erwachsener Geier sehr schwierig und in der Vergangenheit verstarben sogar einige Exemplare bei dem Versuch. Daher ist das Einhalten der Zuchtvorgaben und Leitlinien sehr wichtig. Das Bartgeierprojekt wird von 34 (meist) europäischen Zoos, 2 privaten Partnern und 3 Auffangstationen unterstützt. Außerdem gibt es drei große und zwei kleinere spezialisierte Brutcentren. Insgesamt umfasst der Bestand 181 Bartgeier. In 2020 (2019) gab es 41 (40) Brutpaare, die 71 (65) Eier legten. Davon waren 53 (44) befruchtet und 38 (36) Küken schlüpften. 25 (30) wurden erfolgreich flügge. Leider gab es im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr Ei-/Küken-Verluste während der Bebrütung und Aufzucht. Dies lag vermutlich an den Folgen der Corona-Pandemie, da die Brutpaare nur mit absolut minimalem Personal betreut und daher weniger beobachtet werden konnten. Außerdem war der Transport von Küken zu Ammen-Eltern in anderen Ländern weitestgehend eingeschränkt oder verboten, so dass Küken unerfahrenen Ammen-Geiern anvertraut werden mussten. Covid führte somit zur größten Krise seit Beginn des Wiederansiedlungsprojektes in 1978. Von den 25 überlebenden Küken blieben 4 im Zuchtprogramm und 21 konnten ausgewildert werden: 8 Bartgeier gingen nach Andalusien, 5 nach Grands Causses, 2 nach Baronnies (Voralpen), 2 nach Vercors (Voralpen), 2 in die Schweiz und 2 nach Maestrazgo.
Im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes wurden zwischen 1978 und 2020 insgesamt 585 Junggeier erfolgreich großgezogen (244 in Zoos oder bei Privatleuten, 341 in den spezialisierten Brutcentren). 344 der Junggeier wurden über die Jahre in den (Vor-)Alpen (233), Andalusien (71), Grand Causses (25), Sardinien (3), Korsika (6) und Maestrazgo (6) ausgewildert. Mit Blick auf die Zukunft ist es wichtig die genetische Vielfalt durch Bildung neuer Brutpaare sicherzustellen, um auch weiterhin jährlich den Zielwert von 25 Küken zu erreichen.
Der nächste Vortrag war von Mirco Lauper, IBM-Koordinator. IBM steht in diesem Fall für das International Bearded Vulture Monitoring. Datenbasis für dieses Projekt sind die Aufzeichnung zahlreicher Geierschutzprojekte Europas. Auswertungen ergaben, dass derzeit 63 Bartgeier-Territorien in Europa mit insgesamt 53 Brutpaaren beobachtet werden, ein deutlicher Anstieg. 10 Brutversuche scheiterten frühzeitig, 6 Küken starben, bevor sie flügge wurden und 37 Jungtiere flogen erfolgreich aus. Desweiteren befasst sich das IBM-Projekt mit Auswertungen zum Erfolg und den Verlusten im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes, mit der demographischen Modellierung anhand von markierten Geiern sowie dem Formen eines internationalen Netzwerkes ohne politischen Einfluss.
Den dritten Vortrag steuerte Franziska Lörcher zum Thema GPS und genetische Daten bei. Junge Bartgeier fliegen in Europa kreuz und quer umher. Die Populationen durchmischen sich allerdings selten, da die Geier meistens wieder in ihre Heimat zurückfliegen. Die Exemplare auf Korsika blieben allerdings auf ihrer Insel bzw. einer kleinen Nachbarinsel, flogen jedoch nicht zum Festland. In Zentral-Frankreich wurde ein verletzter Bartgeier gefunden, dessen Blutprobe zu keinem Geier in der Datenbank passte. Allerdings konnten durch Abstammungsprüfungen seine Eltern ausfindig gemacht worden. Diese stammten aus Haute-Savoy. Nachdem der Geier wieder freigelassen werden konnte, flog er munter durch Frankreich, Italien und die Schweiz.
Highlight des Sommers 2020 war der Bartgeier Vigo, der von Juni bis Oktober einen ausgiebigen Abstecher nach Großbritannien machte. Da Bartgeier dort nicht heimisch sind, wurde der Vogel eine riesige Attraktion und lockte tausende Ornithologen und Geierfreunde an. Nachdem einige ausgefallene Federn eingesammelt und genetisch analysiert werden konnten, stellte sich heraus, dass es sich bei Vigo um ein Weibchen handelt, dass 2019 in Südfrankreich geschlüpft ist. Dies erklärt vermutlich auch, warum der Geier mittlerweile wieder nach Frankreich heimgekehrt ist.
Beim vierten Vortrag stellte VCF-Direktor José Tavares die Auswilderungspläne für 2021 vor. Nachdem in einigen Teilen Europas Bartgeier wieder erfolgreich angesiedelt werden konnten, gilt es nun Korridore zu schaffen, damit sich die Populationen von den Alpen über die Pyrenäen bis nach Andalusien untereinander besser vermischen können.
Daher ist es besonders wichtig jedes Jahr eine gute Anzahl von Junggeiern zu züchten. Neben den erfahrenen Brutpaaren im EEP werden 16 weitere Pärchen 2021/2021 vermutlich die Geschlechtsreife erreichen, so dass mittelfristig mit weiteren Küken aus neuen Blutlinien zu rechnen ist. Der erste Wurf wird dann erstmal im Brutprogramm bleiben, aber alle weiteren Küken können später ausgewildert werden. Natürlich werden Geierküken nicht an den Meistbietenden abgegeben, sondern es gibt klare Regeln, wie entschieden wird, wer wie viele Geier zur Auswilderung bekommt. Es werden nur Geier ausgewildert, wenn die Gegend nachweislich sicher ist. So werden derzeit fleißig Vorkehrungen zur Giftbekämpfung in Bulgarien getroffen, um vielleicht ab 2024/2025 auch dort Bartgeier wiederansiedeln zu können. Außerdem werden vielleicht sogar bereits 2021 die ersten Bartgeier in Berchtesgaden freigelassen, was mich natürlich ganz besonders freuen würde. Da andere Länder/Standorte Priorität haben, müsste es mindestens 25 zur Auswilderung verfügbare Küken geben, um Berchtesgaden in 2021 berücksichtigen zu können. Ich drücke meinen Geierfreunden in Bayern die Daumen und wäre sehr daran interessiert an der Auswilderung teilzunehmen!!!
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