Freitag, 10. November 2017

Annual Bearded Vulture Meeting 2017

Endlich ist es so weit!!! Nach 3 Jahren schaffe ich es endlich wieder am "Annual Bearded Vulture Meeting" der Vulture Conservation Foundation (VCF) teilzunehmen, einer jährlich stattfindenden Bartgeier-Konferenz. Bereits 2014 war ich im französischen Barcelonnette dabei. Leider wurde dieser Ort nur wenige Monate später weltweit bekannt durch den Selbstmord-Absturz der Germanwings-Maschine 4U9525. In Korsika 2015 und im Nationalpark Hohe Tauern in Mittersill, Österreich, 2016 war ich leider nicht dabei. Umso schöner, dass es 2017 im französischen Passy (Haute-Savoie) wieder geklappt hat.
Am Donnerstag bin ich von Düsseldorf nach Genf geflogen, wo eineinhalb Stunden später meine Freunde Hans und Sigrid vom Bartgeier-Brutzentrum (Eulen- und Greifvogelstation) EGS Haringsee und Bartgeier- sowie Habichtkauz-Experte Richard landeten. Kurze Zeit später traf auch Dirk, zoologischer Kurator vom Alpenzoo Innsbruck, in Genf ein und gemeinsam ging es per Mietwagen ins etwa eine Stunde Autofahrt entfernte französische Passy. Bis wir unser Hotel hoch oben in den Bergen erreichten, war es stockdunkel und mittlerweile halb zehn abends. Zum Glück gab es noch ein spätes Abendessen und wir hatten die Gelegenheit die ersten neuen und alten Bekannte im gemeinsamen Speisesaal zu begrüßen. Am meisten hatte ich mich natürlich auf das Wiedersehen des tollen Teams der VCF rund um Direktor José, Franziska und Alex gefreut sowie auf das Kennenlernen mit Alice, die sich im Vorfeld geduldig um das koordinieren und organisieren der Transfers nach Passy gekümmert hatte. Aber auch auf Adéla aus dem tschechischen Zoo Ostrava, die ich bei der Bartgeier-Auswilderung 2014 kennengelernt und bei der Bartgeier-Konferenz in Barcelonnette wiedergesehen hatte und auf alle anderen meiner Geierfreunde.
Heute früh trafen wir uns im Frühstücksraum wieder und verteilten und kurze Zeit später auf diverse Autos, weil der Konferenz-Raum unten im Tal gelegen war. Erst bei Tageslicht konnte ich sehen, wie schön die Landschaft in Passy ist. Schneebedeckte Wälder an hohen Bergwänden ringsherum.
Die Konferenz fand in einem großen Saal in einer riesigen Decathlon-Filiale statt. Irgendwie witzig, wenn man auf dem Weg zum Klo entweder durch das Restaurant oder die Kinder-Outdoorklamotten-Abteilung läuft. Aber hier in Passy scheint dieses prachtvolle Holz- und Glas-Gebäude eine Art Gemeinde- bzw. Konferenzzentrum zu sein.
Als erstes meldeten wir uns bei den Kollegen der VCF an, bekamen Namensschilder mit Hinweis auf unsere Organisationen (in meinem Fall "private - Faszination Geier") und suchten und die besten Plätze aus. Außerdem traf ich überraschenderweise auf meine bulgarischen Freunde Volen und Vladimir vom Schmutzgeier-Projekt LifeNeophron, bei dem ich im Sommer 2015 bei der Nest-Überwachung geholfen hatte. Außerdem hatten Volen und ich uns wenige Monate später bei der Beringung von wilden Ohrengeierküken im Namib-Naukluft Park in Namibia wiedergesehen.
Neben dem Eingang gab es einen Info-Tisch, auf dem jeder seine Geier-Flyer und Broschüren auslegen konnte. Da habe ich natürlich auch ein paar Flyer verteilt.
Das Annual Bearded Vulture Meeting stand unter dem Motto "20 Jahre - 1997/2017", da 1997 der erste wilde Bartgeier in den Alpen schlüpfte und somit der erste Teilerfolg des Wiederansiedlungsprojektes erzielt wurde.
Die begrüßenden Worte kamen natürlich unter anderem von José, den ich bereits 2014 kennenlernen durfte. Ich finde, dass er ein toller, rhetorisch sehr versierter Redner ist und die Dinger auf sympathische Art und Weise klasse auf den Punkt bringt. Eigentlich schade, dass er nicht mehr Vorträge gehalten hat.
In den Einleitungsfolien wurde allen Teilnehmern noch einmal vor Augen gehalten, warum wir hier versammelt sind. Der Bartgeier war nämlich in den Alpen vollständig ausgerottet gewesen, bis in den 80er-Jahren das Bartgeier-Wiederansiedlungsprojekt gestartet wurde. Bartgeiern wurde damals nachgesagt, dass sie Lämmer von den Felsen stoßen oder sogar Babys aus Kinderwagen klauen. Daher wurden sie bis zur Ausrottung verfolgt und abgeschossen.
In fast 3 Jahrzehnten der Wiederansiedlung konnte die Bartgeier-Population aufgebaut und halbwegs stabilisiert werden. Seit 1997 haben bereits wenigstens 203 Junggeier in freier Natur ihr Nest verlassen - praktisch genauso viele, wie in dieser Zeit freigelassen wurden. Die Wiederansiedlung der Bartgeier erfolgt in verschiedenen Bereichen Österreichs, Frankreichs und der Schweiz sowie in Andalusien. Hierbei ist es wichtig, dass Küken unterschiedlicher Bartgeier-Paare in einem Gebiet ausgewildert werden, um eine genetische Vielfalt zu erreichen.
Die jeweils ca. 20minütigen Vorträge sind von 9-19 Uhr durch getacktet mit kurzen Kaffeepausen und etwas Zeit für Fragen und Diskussion.
Gleich morgens gab es 2 Ehrengäste, die eine besonders weite Anreise hatten: Chandra von den Kalifornischen Kondoren und Shannon aus einem Bartgeier-Projekt in Südafrika.
Die Kalifornischen Kondore waren in den 80er-Jahren bis auf wenige Exemplare fast ausgestorben. Nachdem alle verbliebenen Exemplare eingefangen und in Brutcentren verpaart wurden, erlebten die Kalifornischen Kondore ein ähnliches Comeback wie die Bartgeier in den Alpen. Aus wenigen Exemplaren wurden nach Jahrzehnten der mühsamen Arbeit einige hundert Exemplare, die teilweise wieder am Himmel ihre majestätischen Flügel ausbreiten können. Besonders knuffig beim Vortrag: Die Kükenbilder:
Sowohl bei Bartgeiern als auch bei Kalifornischen Kondoren werden in Brutcentren oft geierhafte Handpuppen zur Kükenaufzucht verwendet, damit sich die Junggeier gar nicht erst an den Menschen gewöhnen. Leider sind Kalifornische Kondore noch immer stark bedroht, vor allem durch bleihaltige Munition. Daher werden alle Kondore zweimal jährlich eingefangen und auf Bleigehalt im Blut getestet. Außerdem kommt es immer wieder vor, dass tote oder verletzte Kondore gefunden werden, deren Kropf voller Glasscherben und anderem Unrat ist:
Shannon hat anschließend einen spannenden Vortrag über den Aufbau eines Brutcenters, ihre erste Aufzucht eines Bartgeierkükens und verschiedene Abenteuer rund um das Monitoring der wilden Bartgeier in Südafrika gehalten.
In den Maluti-Drakensberg Mountains - eine ganze Ecke südlich von VulPro gelegen - leben etwa 350 bis 400 Bartgeier, darunter ca. 100 Brutpaare. Wäre schon reizvoll in Südafrika auch mal einen wilden Bartgeier zu sehen...
Nach einer kurzen Diskussionsrunde ging es in die erste kleine Pause.
Im Eingangsbereich des großen Gebäudes gab es eine Bartgeier-Ausstellung. Zwar waren die Infos natürlich auf Französisch, aber Geierbilder sprechen für sich.
Auf dem folgenden Poster ist übrigens der Link zur Webseite der VCF abgebildet. Ein Besuch hierbei lohnt sich. Außerdem gibt es dort einen Newsletter mit regelmäßigen Geier-Infos.
Ein toller Vortrag war die Zusammenfassung der Bruterfolge des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes EEP in 2017 durch Alex.
Seit 1978 wurden in den 5 Brutcentren, 38 Zoos und 3 privaten Zentren insgesamt 512 Jungbartgeier großgezogen, wovon ein Küken nicht 100%ig bestätigt wurde. 223 Junggeier gingen in das Brutprogramm und 288 wurden ausgewildert.
2017 haben 38 Brutpaare 24 Küken großgezogen (17 Küken in Brutcentren und 7 in Zoos). Von diesen 24 Küken blieben 6 Küken im Zuchtprogramm, um die genetische Vielfalt auszuweiten. 18 Küken wurden ausgewildert: 6 in den Alpen, 4 in Grand Causses, 6 in Andalusien und 2 auf Korsika.
Leider waren die freigelassenen Küken dieses Jahr vom Pech erfolgt. Von den 6 Küken in den Alpen starben 4, eines starb in Andalusien und auch von den 6 Küken fürs Brutprogramm starben 2. Ein weiteres hat Fußprobleme und es ist nicht gewiss, ob es überhaupt später für die Zucht genutzt werden kann.
Leider gab es dieses Jahr auch traurige Verluste durch das West Nile Virus. Offenbar infizieren sich viele Geier an diesem Virus, aber die meisten überstehen es, ohne dass die Infektion überhaupt bekannt wird. Erschreckenderweise erwischte es vermeintlich junge, kräftige Bartgeier und keine alten, schwachen. Die Geier zeigten ganz plötzlich starke Symptome wie Gleichgewichtsstörungen, sehr kleine Pupillen, Flügel und Kopf hingen schwach herab, sie bewegten sich vorwiegend am Boden und fraßen kaum. Kurz darauf verstarben sie.
Dieses Virus muss in jedem Fall im Auge behalten werden. Es stellt sich die Frage, warum die Geier dieses Jahr vermehrt daran verstorben sind und ob den Geiern nun eine allgemeine Gefahr droht.
Beim Anblick des großen Bartgeiers, der im Konferenzraum über unseren Köpfen schwebte, hatte ich direkt einen Kloß im Hals. Wie kann es sein, dass seinen lebenden Verwandten, die sogar Tollwut und Anthrax verwerten können, Gefahr durch ein anderes Virus droht? Hoffentlich finden die Experten bald heraus, wie Symptome schneller erkannt und erfolgreich behandelt werden können.
Anschließend stellte Alex zwei erfolgreiche Behandlungen von jungen Pechvögeln vor, die sich jeweils ein Bein gebrochen hatten. Ein Küken ist mittlerweile vollkommen gesund und konnte ein zweites Mal ausgewildert werden. Beim zweiten wird die Zukunft zeigen, ob es mit seinem nicht ganz 100%ig verheilten Bein überleben kann.
Der nächste Vortrag behandelte das Thema Legenot, also Probleme der Geierdame ihr Ei zu legen. Manchmal bleibt ein Ei komplett im Körper stecken oder es zerbricht im Körper und kann anschließend nicht gelegt werden. Dann ist es wichtig, dass die Zuchtdame schnell operiert wird, um Infektionen zu vermeiden und ihr Leben zu retten. Leider kenne ich solche Ereignisse auch aus Südafrika.
Nach einem Vortrag und Filmbeitrags eines Vogelparks, der ein Bartgeierküken aufgezogen hat, ging es in die Mittagspause. Zeit zu Netzwerken!
Neben einigen Geier-Bekannten von der Bartgeierauswilderung 2014 in Grand Causses wie Raphael habe ich auch Italiener Fulvio wiedergetroffen, der an seiner Futterstelle Progetto Grifone Udine hin und wieder meine kroatische Patengeierin "Betty" wiedertrifft. Außerdem sah ich nach drei Jahren endlich Ferdinand vom Hohen Tauern Nationalpark (nahe Salzburg) wieder.
Immer im Bilde: Der tolle große Bartgeier unter der Decke. Es war einfach niedlich, wie er sich im leichten Wind der Lüftung immer wieder Richtung Leinwand gedreht hatte. So einen hätte ich auch gerne!!!
Nach der Mittagspause trug eine Gruppe Kinder ein Märchen über Bartgeier mit süßen Geierzeichnungen im Hintergrund vor. Leider auf Französisch, so dass ich nichts verstanden habe. Aber die Geste und die Bilder waren schön!
Mirco, neuer Koordinator des International Bearded Vulture Monitoring (IBM) stellte Auswertungen der unzähligen Daten von Geiersichtungen vor. Junge Bartgeier werden mit Erkennungsringen und GPS-Sendern ausgestattet. Außerdem werden ihnen einige Federn gebleicht, so dass sie im Flug ganz eindeutig identifiziert werden können - zumindest bis zur ersten Mauser.
In den weiteren Kurzvorträgen hab es lokale Infos zu einzelnen Geierpaaren. Zum Beispiel wurde in den südlichen Alpen ein neues Bartgeiernest in 3000 m Höhe entdeckt - der bisherige Rekord lag dort bei ca. 2600 m. Das zeigt ganz klar, dass sich Geier sowohl oberhalb der Schneegrenze in Eiseskälte wohlfühlen, als auch bei sengender Hitze in Afrika und in einigen Ländern auf Meereshöhe brüten.
Eine besonders knuffige Kurzpräsentation zeigte einen Stoffbartgeier, der einen Roadtrip durch die USA gemacht hat. Diese Folien wurden so charmant präsentiert, dass wir Tränen gelacht haben.
Direkt nach der Präsentation gelang es mir zum Glück einen solchen Stoff-Bartgeier zu erbeuten. Ein Bartgeier hat mir in meiner Geierkolonie nämlich noch sehnlichst gefehlt!
Beeindruckender Rundflug des jungen Bartgeiers "Lucky" durch neun Länder Europas. Er flog unter anderem quer durch die Niederlande, an der Küste entlang bis hoch nach Texel. Dabei hat er vermutlich auch Egmond aan Zee überflogen, wo ich immer mal wieder gerne ein Wochenende verbringe. Eigentlich unglaublich, dass mir dort neben Möwen plötzlich auch ein Bartgeier hätte über den Weg flattern können.
Bei vielen Vorträgen wurden Ursachenanalysen für Geier-Verluste vorgestellt. Spitzenreiter sind leider häufig Giftköder (gegen Raubtiere) oder Bleivergiftung, Kollision mit Stromleitungen und Stromschlag sowie Störungen durch den Menschen.
In weiteren Vorträgen wurden erste Projekte vorgestellt, wie in gemeinsamer Arbeit mit Jägern bleifreie Munition getestet wurde, um den Geiertod durch Bleivergiftung zu verhindern. Außerdem gibt es Gratis-Munition bzw. speziellen Rabatt, wenn Jäger auf bleifrei umstellen. Das ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung!
Auf Korsika gibt es einen Action Plan mit mindestens 2 Küken pro Jahr über 5 Jahre, die dort ausgewildert werden sollen. Die dortige Population von Bartgeiern ist seit 1983 von 7 Paaren auf 4 Paare gesunken. In den letzten 10 Jahren gab es nur 5 Küken, die flügge wurden, 2016 und 2017 blieb der Bruterfolg komplett aus. Daher ist Korsika auf gesunde Junggeier dringend angewiesen. Die ersten wurden 2016 ausgewildert.
In den französischen Pyrenäen stieg Dank erfolgreicher Auswilderungen die Zahl der Brutpaare von 21 Paaren 1977 auf 44 Paare 2017. Aus 34 Nestern flogen jedoch nur 16 gesunde Küken aus. Seit 2006 geht der Bruterfolg stetig zurück. Ursachen hierfür sind unter anderem das junge Alter bzw. die Unerfahrenheit, (Blei-)Vergiftungen und Störungen durch die vermehrte Anzahl von Helikopterflügen seitens Militär, Polizei, Bergrettung und Rundflügen.
Auch die spanischen Pyrenäen lieferten interessante Zahlen. In Spanien leben über 90 % der europäischen Geier, darunter 82 Bartgeier-Brutpaare in den Pyrenäen. Dieses Jahr gab es jedoch nur 38 Küken, ein eher schlechter Bruterfolg. Zwar gibt es jedes Jahr mehr besetzte Territorien, aber die Reproduktivität wird immer schlechter. Zwischen 1979 und 2017 starben 33 Bartgeier an Gift/Blei, 18 durch Stromleitungen usw. Schön zu sehen ist die wachsende Anzahl von Futterplätzen in Spanien. Stand 2015 waren es 339 kontrollierte Futterplätze, Anzahl steigend, und über 7000 Farmer, die ebenfalls tote Nutztiere auslegen dürfen. Über diese Zahlen war ich sehr überrascht, weil ich immer noch dachte, dass Futterstellen in weiten Teilen Europas wegen Krankheiten wie BSE, Schweinegrippe & Co verboten wurden. Volen und Hans erklärten mir später, dass jedes Land andere Auflagen hat. In Ländern wie Spanien und Frankreich, wo es viele Geier gibt, dürfen Futterstellen wieder eingeführt werden, wenn diese kontrolliert sind. So muss es beispielsweise einen Zaun geben, damit andere Raubtiere vom Aas ferngehalten werden. In Bulgarien hingegen dürfen zur Zeit nur Schutzorganisationen einige wenige Futterstellen betreiben, aber keine privaten Farmer.
Bei all den vielen Geiervorträgen merkte ich gar nicht, wie die Zeit verging. Es ist schon faszinierend, dass ich von 9-19 Uhr Vorträgen gelauscht habe und dabei keinen einzigen Kaffee trinken "musste". Kein Anflug von Müdigkeit und nur ein kurzer Spaziergang nach draußen, um die schöne Landschaft zu betrachten. Ansonsten hätte der Tag ewig so weitergehen können!
Gegen 20 Uhr löste sich die Konferenz für heute auf und es ging den Berg hoch ins Hotel. Dort wurde anschließend ein Buffet aus allen lokalen Köstlichkeiten aufgebaut, die die gut 170 Teilnehmer der Konferenz aus ihren Heimatländern mitgebracht hatten. Ein köstliches Festmahl und viel Zeit zum Geier-Fachsimpeln. Was für ein herrlicher Tag!!!

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