Sonntag, 8. Dezember 2013

Des Bartgeiers Essmanieren

Bei der Eulen- und Greifvogel-Station Haringsee (EGS) gibt es sehr viele hungrige Schnäbel, die täglich gefüttert werden wollen. Daher ist die Arbeit aufgeteilt: Es gibt freiwillige und fest angestellte Helfer, die sich um das Federvieh kümmern. Die Bartgeier betreut der Leiter der EGS, Dr. Hans Frey, natürlich persönlich. Jeden Morgen werden also mit dem Hackebeil Karnickel, Ratten, Meerschweinchen, Rehe & Co in Schnabel-gerechte Stücke zerhackt. Ganz so penibel braucht dabei nicht vorgegangen zu werden, denn Bartgeier können bis zu 30 cm lange Knochen am Stück (!!!) verschlingen. Sie haben keinen Kropf wie die Gänsegeier-artigen und andere Geierarten, so dass der Knochen direkt in den Magen wandert, wo eine Knochen-zersetzende Magensäure auf das Futter wartet. Dort dauert es keine 24 Stunden, bis ein stattlicher Knochen völlig verdaut ist! Kein Wunder also, dass Bartgeier sich nicht um jeden Fleischhappen am Aas streiten, sondern geduldig warten, bis die Knochen eines toten Tieres blankgefuttert sind. Ist kein Geier bzw. kein anderer Jäger mehr an der Beute interessiert, landen die Bartgeier und schlingen sich die Knochen rein. Knochen machen über 95 % ihrer Gesamtnahrung aus.
Sind einige Knochen zu lang oder zu dick, so umschließen Bartgeier diese mit ihren kräftigen Krallen. Sie schwingen sich in die Lüfte und halten Ausschau nah ihren bevorzugten "Knochenschmieden". So werden kleine Ebenen aus Fels genannt, auf die Bartgeier (auch "Knochenbrecher" genannt) ihre Futterknochen aus teils 80 m Höhe fallen lassen. Die Knochen zersplittern in kleinere Stücke und können vom Bartgeier anschließend eingesammelt werden. Hierbei ist wichtig, dass sie ihre Futterknochen nur auf Ebenen fallen lassen, nicht auf steile Felsschrägen. Die Knochensplitter würden sonst über die ganze Felswand verstreut werden, was für eine effiziente Nahrungssuche hinderlich ist. Junge Bartgeier in der Wildnis lernen dies sehr schnell, nämlich wenn sie mehrfach mit leerem Magen ins Nest zurückkehren mussten. Zersplittert ein Knochen nicht beim ersten Versuch, so sammeln Bartgeier den Knochen wieder ein und lassen ihn erneut so lange aus der Luft fallen, bis er schließlich doch noch zersplittert. Wirklich raffinierte Vögel, oder?
Kleiner Tipp an Wanderer: Solltet ihr in den Bergen plötzlich auf einer felsigen Lichtung ankommen, wo überraschend viele Knochensplitter herumliegen, dann geht lieber in Deckung und zückt die Kamera: Es könnte nämlich schon bald der nächste Knochen vom Himmel fallen und ein hungriger Bartgeier zum kreisenden Landeanflug ansetzen!
In der EGS werden die Futtertiere natürlich kleingehackt, weil die Bartgeier hier nicht auf diese ausgefeilte Knochenbrecher-Technik zurückgreifen können.Dennoch war es immer wieder beeindruckend, was für große Happen die Geier am Stück in ihrem Schnabel verschwinden lassen können. Bei geschlossenem Schnabel kommt die wahre Schnabellänge nämlich gar nicht richtig zur Geltung. Sieht man den Schnabel wir auf dem Bild unten, so könnte man meinen der Schnabel reiche nur bis zum schwarzen Bart.
Öffnet der Bartgeier allerdings seinen Schnabel, so sieht man, dass der Schnabel in Wahrheit bist unterhalb der Augen geht. Lang genug, um riesige Aasbrocken am Stück zu verschlingen.
Am Aas geht es bei Bartgeiern wesentlich gesitteter zu als beispielsweise bei Kapgeiern. Natürlich herrscht in einer Pärchen-Voliere auch kein großer Konkurrenzkampf, aber auch in der freien Natur sind Bartgeier eher geduldig. Sie müssen sich nicht gegenseitig vom saftige Fleisch wegschubsen oder attackieren, sondern sie warten einfach geduldig auf die knochigen Überreste. Dank ihrer Diät, die weitestgehend unblutig ist, haben Bartgeier einen schön befiederten Kopf und Hals. Sie müssen sich damit ja nicht in blutige Eingeweide vorwühlen, das ihre Federn verkleben könnte.
Gestritten wird sich in den Volieren sehr, sehr selten. Höchstens, wenn ein Männchen einen abgenagten Knochen in den Krallen hat und das meist größere Weibchen seine Dominaz ausleben möchte.
Mjamm!
Wie die anderen Geierarten auch putzen sich die Bartgeier nach ihrem Aas hack ordentlich den Schnabel an Holz oder Stein ab, um ihn von kleinen Fleischfetzen zu reinigen.
Ist zum Beispiel ein Karnickel-Hinterlauf noch voller Fell, so rupft der Bartgeier geduldig Fellbüschel für Fellbüschen von den Knochen ab, bis der fellfreie Knochen verschlungen werden kann.
Einmal kurz mir erhobenen Schwanzfedern koten und direkt weiterfuttern.
Hat ein Bartgeier einen großen, blanken Knochen und Schnabel-gerechte, zarte Fleischhäppchen zur Auswahl, so entscheidet er sich immer für den Knochen! Faszinierend!
Mampf.
Hmmm, lecker Karnickelohr!
Und wieder wird ordentlich der Schnabel an der Steinkante der Futterplatte gesäubert.
Kurz an der Halskrause kratzen...
... und schnell den an der Zehe festhängenden Aasfetzen verschlingen.
Eine halbe Futterratte, bitte!
Die Fütterungen in den Volieren sind ja schon spannend anzuschauen. Wie spektakulär muss wohl der Anblick einer "Knochenbrech-Aktion" in freier Wildbahn sein!?

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