Eine weitere europäische Geierart mit einer Spannweite von ca. 2,65 m ist der Bartgeier, auch Lämmergeier genannt. Den Namen Lämmergeier bekam er, weil er ursprünglich im Verdacht stand Lämmer zu fressen. Außerdem wurde er bezichtigt sogar Babys aus Kinderwagen zu stehlen. Alles Blödsinn, denn dieser Geier ernährt sich zu 90 % nur von blanken Knochen, statt von Fleisch. Der Name Bartgeier ist viel passender, da Männchen wie Weibchen einen kleinen schwarzen Bart seitlich am Schnabel herabhängen hat.
Da sich Bartgeier vorwiegend von Knochen ernähren, können sie im Gegensatz zu vielen anderen Geierarten ruhig Federn an Kopf, Hals und Füßen tragen. Vom Fressen alter Knochen können diese schließlich nicht schmutzig werden oder verkleben. Dank ihres breiten Schlunds und der starken Magensäure können sie Knochen mit bis zu 30 cm Länge am Stück verschlingen. Ist ein Knochen jedoch zu groß, so fliegen die Bartgeier in die Höhe und lassen den Knochen auf Felsplateaus, so genannte „Knochenschmieden“, herabfallen. Dadurch zerbrechen die Knochen in schnabelgerechte Häppchen. Klappt es nicht beim ersten Versuch, so nimmt der Geier den Knochen erneut in seine Krallen und wiederholt das Spiel, bis er seine Beute verschlingen kann.
Der Bartgeier lebt vorwiegend im Hochland, wo es vor allem nach der Schneeschmelze viel Futter durch verendete Tiere gibt. Während sich andere Geierarten und sonstige Raubtiere um das Fleisch streiten, kann der Bartgeier entspannt warten, bis seine bevorzugten Knochen übrig bleiben. Diese frisst ihm niemand weg.
Bartgeier bringen in der Regel ab einem Alter von etwa 7-8 Jahren zwei Eier bzw. Küken zur Welt. Die Futtersuche nimmt viel Zeit und Kraft für die Geiereltern in Anspruch, so dass die Nahrung leider nur für ein Küken reicht. Das zweite Ei ist somit als Ersatz zu sehen, falls dem ersten Ei bzw. Küken etwas zustößt. Leider kommt es auch vor, dass das ältere Küken dem jüngeren Küken nicht nur das Futter wegfrisst sondern es sogar tötet. Dieser „Brudermord“ wird in der Tierwelt „Kainismus“ genannt in Anlehnung an Kain und Abel.
Junggeier haben ein grauschwarzes Gefieder, während sie im Erwachsenenalter helle Federn bekommen. Durch ausgiebige Bäder in Oxid-haltigem Schlamm ist ihr Gefieder in freier Wildbahn häufig orange-rot gefärbt. Bisher stellen leider nicht viele Zoos ihren Bartgeiern diese Bäder zur Verfügung, so dass sie in Gefangenschaft häufig weiß-beige aussehen.
Aufgrund schlechter Publicity und böser Unterstellungen wurde der Bartgeier gzielt gejagt und Anfang des 20. Jahrhunderts in den Alpen ausgerottet. Zum Glück wurde 1978 das Wiederansiedlungsprojekt des Bartgeiers in den Alpen gegründet, an dem sich mittlerweile viele Organisationen, Zoos und Zuchtcentren aus unterschiedlichen Ländern beteiligen. Unter anderem die Vulture Conservation Foundation, die Stiftung Pro Bartgeier sowie die Eulen- und Greifvogelstation Haringsee. 1986 wurde der erste Bartgeier in Österreich ausgesetzt und bis 2016 folgten über 200 weitere Auswilderungen in Österreich, Frankreich und der Schweiz. 1997 konnte schließlich der erste in freier Wildbahn geborene Bartgeier beobachtet werden. Mittlerweile wird die Population im Alpenraum auf ca. 220 bis 250 Tiere geschätzt. Das ist noch lange nicht genug für eine gesunde Population, daher geht das Wiederansiedlungsprojekt in die Verlängerung. Seit Jahren werden auch Bartgeier in den Pyrenäen und in Andalusien freigelassen. Langfristiges Ziel ist es weitere Auswilderungsorte zu erschließen, um einen Verbreitungs-Korridor zwischen Pyrenäen und Alpen zu schaffen. Dadurch könnten sich die beiden Bartgeier-Populationen verbinden und für eine bessere genetische Vielfalt sorgen.
Zur weiteren Erforschung der Bartgeier werden einzelne Federn der Junggeier ausgeblichen und dokumentiert. Wird also ein Bartgeier im Flug beobachtet und fotografiert, so lässt sich anhand der Federfärbung eindeutig bestimmen, um welches Tier von welchem Zuchtpaar aus welchem Auswilderungsgebiet es sich handelt. Natürlich nur bis zu einem Alter von etwa 2 Jahren, wenn die Mauser einsetzt.
So gefürchtet der Bartgeier in Europa früher auch war, so bewundert wird er heutzutage von vielen Menschen – großer Aufklärungskampagnen sei Dank. An den jährlichen Auswilderungen nehmen teils hunderte Teilnehmer (Familien, Schulklassen, Sponsoren, Naturschützer, Politiker & Co) teil, um den jungen Bartgeiern alles Gute zu wünschen und ihre Wiederansiedlung zu feiern. Selbst wenn dies bedeutet, dass zunächst eine lange Wanderung zu den geschützten Auswilderungsorten erfolgen muss. Dazu gibt es häufig ein großes Rahmenprogramm mit Vorträgen, Live-Bands und ähnlichem. Zumindest in Europa scheint die Imagekampagne zum Schutz der Bartgeier sehr erfolgreich zu sein.
In Teilen Afrikas und Asiens ist der Bartgeier-Bestand leider weiterhin stark rückläufig.
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