Donnerstag, 10. Juni 2021

Bartgeier-Auswilderung in Berchtesgaden - die Freilassung

Nachdem der große Presseauftritt der beiden Bartgeier "Wally" und "Bavaria" überstanden war, ging es für die beiden Geier in die gut ausgepolsterten Transportkisten. Weil die Kisten jeweils 27 kg wogen, wechselten sich gut trainierte Träger des Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV), des Nationalpark Berchtesgaden sowie ein Förster des Bayerischen Staatsforsten und ein Jäger der Kreisgruppe Berchtesgadener Land des Bayerischen Jagsverbandes ab.

Toni hatte mir bereits vor Wochen erklärt, dass der Aufstieg "nur" 300 Höhenmeter sind, die man locker in einer halben Stunde schafft. Nachdem ich gestern im Wimbachtal 300 Höhenmeter in 1,5 Stunden zurückgelegt hatte, war mir klar, dass diese 300 Höhenmeter wesentlich steiler werden. Dafür hatte ich vor dem Urlaub mein Treppentraining gemacht, als ich mehrmals die Woche jeweils 2-3x die Riesentreppe zum Tetraeder sowie den Teraeder selber hoch und runter gelaufen bin. Anfangs war ich noch halbwegs guten Mutes, weil ich dachte, dass die Geierträger und die Kamerateams mit ihrer schweren Ausrüstung und den sperrigen Stativen sicherlich das Tempo drosseln werden, so dass ich mithalten kann. Haha, guter Witz! Während ich mich noch mit einer nette Reporterin vom Abendblatt unterhielt, ging mir gefühlt schon in der dritten Kurve die Puste aus.
Schon bald verzichtete ich aufs Reden und konzentrierte mich nur auf den Weg und die Atmung, aber es war einfach phasenweise zu steil. Irgendwann fiel ich so weit zurück, dass ich schon Sorge hatte die anderen vollständig aus den Augen zu verlieren. Bei den wenigen Stopps, um die Geierträger auszutauschen, konnte ich wieder etwas heranrücken, aber am Ende wollten die Beine nicht mehr. Gott sei Dank waren es dann nur noch einige Minuten, bis ich die Weggabelung erreichte, wo sich der große Pulk trennen musste. Geier-Experten und -träger sowie Kamerateams durften weiter zum Beobachtungsstand "klettern", während alle anderen zum Geier-Infostand auf den offiziellen Wanderweg geschickt wurden. Toni sei Dank durfte ich mit den Experten mitlaufen, da ich ja angeboten hatte am Beobachungsstand auszuhelfen. Dann macht es auch Sinn, dass ich weiß, wo dieser überhaupt ist.
Unterwegs zeigte mir ein Kollege der LBV aus der Ferne die Auswilderungsnische. Es ist die leicht schräge, dunkle Stelle oberhalb der rechten Schneewehe.
Das letzte Stück wurde nochmal eine kleine Kletterei über ein Schotterfeld und dann hatten wir das Beobachtungszelt erreicht.
Anstelle des Zeltes sollte es eigentlich eine extra angefertigte Holzhütte geben, damit die Beobachter in den nächsten Wochen und Monaten bei Wind und Wetter geschützt wäre. Leider wird es diese Hütte aber in diesem Jahr noch nicht geben. Sie müsste nämlich in 4 Teile zerlegt per Helikopter in die Berge geflogen werden. Da die Beobachtungsstelle allerdings in der Schutzzone eines Steinadlerpaares liegt und gerade die Balz- bzw. Brutsaison läuft, darf der Helikopter in den nächsten Monaten nicht starten. 
Für mich und einige andere war an dieser Stelle Schluss mit der Wanderung und wir machten es uns bequem, während ein auserwählter Trupp von Geier-Experten, Trägern, Hansruedi und einem Kamerateam weitere 200 Höhenmeter die steile Wand hinauf kletterten. Aufgrund der Steinschlaggefahr mussten sie Helme tragen und das letzte Stück zur Auswilderungsnische war mit Halteseilen ausgestattet.
 Außerdem wurde der Aufstieg dank einer Helmkamera live auf der Facebook-Seite des LBV übertragen, so dass wir alle im Grunde dennoch dabei sein konnten. Ich muss mir das Video selber mal später in Ruhe angucken, aber wenn ich anderen zwischendurch aufs Handy geschielt hatte, klang die live-Kommentierung total gut gelaunt und witzig - obwohl die Leute alle gerade fast eine senkrechte Felswand hochkraxelten.
Nach einer Weile kam der Trupp oberhalb der Baumreihe und unterhalb des Schneefeldes zum Vorschein. Sie würden die Grasfläche zwischen den beiden Schneewehen auf einem der früheren Bilder hochklettern und dann nach rechts rüber zur Nische. Leider schwang plötzlich das Wetter um und es kam ein erster Regenguss runter. Für uns weniger schlimm, da wir schnell unsere Regenschichten anziehen und die Rucksäcke schützen konnten. Für die Leute in der Felswand weniger gemütlich. Zum Glück hielt der erste Regen nicht lange an.
In perfektem Teamwork wurde die wertvolle Fracht gesichert und den Berg hinaus getragen. Die Seile sind übrigens nur eine Kletterhilfe, aber kein Flaschenzug!
Auf dem letzten Stück zur Nische ging es wieder über senkrecht abfallenden nassrutschigen Fels. Schon beim Anblick der Live-Übertragung hätte ich mir fast ins Hemd gemacht und die Helden da oben haben noch Atem in der Lunge, um zu Scherzen. Hut ab!
Auf die weite Entfernung konnte meine Kamera natürlich keine Details mehr einfangen. Da Hansruedi aber mit in der Nische war, kann ich beizeiten einige seiner Bilder vom Aussetzen der Kleinen und der Besenderung nachreichen.
Leider ging plötzlich noch ein Unwetter runter mit Donner und starkem Regen. Richtig blöde, weil es den Abstieg der Kletterhelden natürlich nicht einfacher machte. Da sie nicht zu lange bei den Geiern in der Nische bleiben wollten, damit die Geier nicht zu viel Zeit mit Menschen verbringen, mussten sie mitten im Regen mit dem Abstieg beginnen! Ein Nervenkrimi für uns am Beobachtungsstand. Kaum hatten die Leute die Nische verlassen, ging der Job der Praktikanten des LBV los: Die genaue Beobachtung und Dokumentation des Verhaltens der beiden Schützlinge, täglich von 6-21 Uhr für die nächsten 3-4 Wochen bis zum Abflug - und vermutlich auch darüber hinaus, weil die Kleinen wahrscheinlich noch eine Weile in der Nähe der Auswilderungsnische bleiben werden und daher auch zugefüttert werden.
Rückkehr der Helden! Zum Glück ist alles gutgegangen und alle sind wieder heil unten angekommen. Nachdem wir die Kollegen gefeiert hatten und sie sich etwas erholen konnten, löste sich nach und nach die Runde auf. Die Beobachter blieben am Platz, die Kisten wurden zurück gebracht und Toni eilte zu den nächsten Presseterminen.
Ich entschied mich den Bartgeier-Themenweg abzulaufen, damit ich für die nächsten Tage weiß, wo sich der Info-Stand befindet. Da ich eh schon so weit oben am Berg war, kam es auf die 10 min weiterer Anstieg fast auch nicht mehr an.
Vom Wanderweg aus kann man sowohl die Auswilderungsnische als auch den Beobachtungsplatz gut erkennen - wenn man denn weiß, wonach man suchen muss.
Außerdem gibt es unterwegs eine Sitzgelegenheit mit Infotafeln zu den Bartgeiern.
Der Info-Stand ist im Grunde nur ein Pavillonzelt mit Bartgeier-Stoffposter in Lebensgröße und zwei Praktikanten des LBV, die interessierte Wanderer über den Bartgeier informieren. Dazu gibt es ein paar Federn und eine Rehkeule, um das Fressen der Bartgeier vorzustellen. Während wir uns nett unterhielten, kam allerdings kein Wanderer mehr den Berg hinauf. Es war allerdings auch schon 17:00 Uhr und das Wetter weiter unbeständig. Aber wir wollen nicht klagen, da es immerhin zum großen Empfang top mitgemacht hat. 
 
Als ich mich an den Abstieg machte, konnte ich kaum abbremsen, so steil war der Weg. Außerdem wirkte er so endlos lang, dass ich echt Sorgen habe, wie ich da jemals nochmal hochkommen soll...
Manchmal kann Geierarbeit echt beschwerlich sein. Aber die Viecher sind jede Strapaze wert!!!
Am Nationalpark-Infohäuschen angekommen, waren noch viele Geierfans beisammen.
Es fiel mir wirklich schwer mich von einigen Leuten zu verabschieden, weil es immer Jahre dauern kann, bis wir uns wiedersehen. Netterweise bot José mir an das VCF-Team und einige andere morgen auf eine kleine Auerhahn-Wanderung im Klausbachtal zu begleiten. Ich glaub zwar nicht, dass ich morgen noch laufen kann, aber das lasse ich mir natürlich nicht entgehen!

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