Freitag, 13. November 2020

Bearded Vulture Technical Webinar - Session 2

Nach einer kurzen Pause ging es in der 2. Session des Bearded Vulture Technical Webinar der Vulture Conservation Foundation (VCF) mit Informationen aus der Geierwelt über Europas Grenzen hinaus weiter.

Zunächst berichtete Tulsi Subedi über den Schutz des Bartgeiers in Nepal. 

Auf Nepalesisch wird der Bartgeier „Haadfor“ genannt, das bedeutet so viel wie „Knochenbrecher“. Dies liegt natürlich an seinem ganz besonderen Talent große Knochen aus luftiger Höhe herabfallen zu lassen, damit diese auf felsigem Untergrund zersplittern und er sie anschließend leichter verschlingen kann. In Nepal gibt es insgesamt 9 Geierarten, aber keine davon gilt dort als geschützte Tierart. 

Der Bartgeier wurde erstmalig im 19. Jahrhundert dokumentiert und nistet bevorzugt in über 1.200 m Höhe. Das höchstgelegene Nest wurde 2020 auf über 5.000 m Höhe entdeckt, historisch liegt der Rekord bei 7.500 m Höhe. 1991 galt der Bartgeier in Nepal noch als weit verbreitet, aber nach dramatischen Rückgängen wird er seit 2016 auf der nationalen Roten Liste der bedrohten Tierarten gelistet. Vermutlich sind weniger als 500 Exemplare übrig, Tendenz weiter sinkend. Allein in den letzten 20 Jahren sanken die Zahlen um über 50 %. Die größten Bedrohungen für den Bartgeier in Nepal sind vergiftete Kadaver, Störungen der Nester durch Feuer und Kletterer, Kollisionen mit Stromleitungen und der Verlust des Lebensraumes durch den Klimawandel. Zur besseren Untersuchung des Bartgeiers wurden zwischen Mai 2016 und Juni 2017 insgesamt 13 Geier mit GPS ausgestattet. Dadurch konnte das Ausbreitungsgebiet der Bartgeier über Nepal und China analysiert werden. Dabei stellte sich heraus, dass die Geier sich nur zu gut 30 % in geschützten Gebieten aufhalten, was sie deutlich anfälliger für Gefahren und Bedrohungen macht. In der Vergangenheit wurden zwar bereits Aktionspläne zum Geierschutz verabschiedet, aber es gibt keinen konkreten Plan für den Schutz des Bartgeiers. Für die Zukunft sind der Aufbau eines nationalen Netzwerks zum Schutz des Bartgeiers, Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung, die Identifikation von gefährlichen Hotspots für Gift und Kollisionen mit Stromleitungen sowie die Ausstattung von mehr Exemplaren mit GPS-Sendern geplant.

Von Nepal ging es im nächsten Vortrag rüber nach Südafrika, wo es auch noch eine kleine Bartgeier-Population gibt. Sonja Krüger, Koordinatorin des dortigen Bartgeier-Schutzprogrammes, gab einen Überblick zum Status der Population und der Wiederansiedlungsstrategie. Früher waren Bartgeier auch im Süden Südafrikas vertreten, aber heute sind sie nur noch im Nordosten zu finden. Untersuchungen zum Bestand gibt es seit den 1980er-Jahren und es wurden seitdem viele Projekte zu ihrem Schutz durchgeführt. Aktuell gibt es schätzungsweise nur noch 313-380 Individuen in Südafrika, darunter 92-112 Brutpaare (inkl. 4 Trios). 125-152 Bartgeier sind derzeit noch nicht geschlechtsreif. Die aktuelle Produktivität liegt bei 46 %, also nichtmal ein Küken auf 2 Paare pro Jahr. Die Küken, die 2020 geschlüpft sind, werden erst in wenigen Wochen flügge. Es gab 156 Territorien und in 79 % wurde eine Brut bestätigt. Drücken wir alle die Daumen, dass bald viele gesunde Bartgeier-Jungtiere flügge werden und Südafrikas Himmel verschönern werden.

Shannon Hoffmann, Brutmanagerin, ergänzte den Vortrag um Details zum Bartgeier-Zuchtprogramm in Südafrika. Geplant ist der Aufbau eines Zucht-Bestandes von 20-30 nicht verwandten Individuen und die Aufzucht vielen Bartgeierküken zur Wiederansiedlung in freier Natur. Das Problem ist aber, dass für das Zuchtprogramm keine erwachsenen Bartgeier aus der Natur eingefangen werden können, sondern der Zucht-Bestand in „Gefangenschaft“ aufgebaut werden muss. Da Bartgeier normalerweise zwei Eier legen und das ältere Jungtier sein kleines Geschwisterchen tötet, werden im Rahmen des Zuchtprojektes die zweiten Eier aus wilden Nester entfernt und im Zuchtprogramm ausgebrütet. Allerdings werden für eine genetische Vielfalt nicht zwei Jahre in Folge Eier aus den gleichen Nestern entfernt. Anschließend werden mehrere Küken gemeinsam vorsichtig per Geierhandpuppe aufgezogen und später einem erwachsenen Geier untergeschoben. Ab einem Alter von 20 Tagen werden die Küken in eine Felsnische in einer Geiervoliere gesetzt und können ihren großen Artgenossen sehen. Gefüttert werden sie weiterhin ohne menschlichen Sichtkontakt mittels Handpuppe. Mit einem Alter von 120 Tagen werden die Junggeier flügge und dürfen sich dann gemeinsam frei in der Voliere bewegen. 2019 wurden 6 Bartgeier-Eier aus wilden Nestern entfernt und dem Zuchtprogramm zugeführt. 4 Küken schlüpften, 2 waren nicht überlebensfähig. Leider hatte eines der geschlüpften Küken ein deformiertes Beinchen und verstarb, so dass nur 3 Küken dem Zuchtprogramm zugeführt werden konnten. Damit stieg der Bestand auf insgesamt 8 Vögel. Das Projekt hat also noch einen langen und mühseligen Weg vor sich, um einen Bestand von 20-30 Geiern zur Nachzucht von späteren Wiederansiedlungsküken aufzubauen.

Im Anschluss an die Beiträge aus Asien und Afrika stellte Louis Phipps eine Übersicht aktueller Forschungsprojekte und Veröffentlichungen rund um den Bartgeier vor:

Dabei gab es viele positive Entwicklungen zu berichten. Z. B. stiegt in den gesamten Pyrenäen die Bartgeier-Population zwischen 2006 und 2016 um 2,3 % an. 2016 gab es somit insgesamt 1026 Individuen, darunter 365 Brutpaare in über 160 Territorien. In den französischen Pyrenäen ist von 1994 bis 2017 die Anzahl territorialer Paare von 16 auf 44 angestiegen. Die Paare legten allerdings im Schnitt erst nach 5 gemeinsamen Jahren ihr erstes Ei. Der Bruterfolg in Schutzgebieten ist größer als in den übrigen Gebieten und die meisten Brut-Verluste erfolgen aufgrund schlechten Wetters und Störungen. In Armenien stieg die Anzahl an Brutpaaren zwischen 2003 und 2019 von 7 auf 11.

Eine Studie zum Fressverhalten der europäischen Geierarten ergab eine klare Dominanz von großen Geiern zu kleinen Geiern. Der Mönchsgeier ist am dominantesten, gefolgt vom Gänsegeier, Bartgeier und schließlich dem kleinen Schmutzgeier.

In einer weiteren Studie wurde die chemische Zusammensetzung von Bartgeier-Ausscheidungen, die in Nestnähe gesammelt wurden, analysiert. Zu 43 % bestehen die Ausscheidungen aus Kalzium und Phosphor. Dies ist auf die spezielle Ernährung des Bartgeiers zurückzuführen, der sich zum Großteil von Knochen ernährt. Dementsprechend wurden bei einer Untersuchung der Futterrückstände im Nest festgestellt, dass 65 % des Futters aus Knochen-Fragmenten bestehen, davon 76 % von Extremitäten. Während der Kükenaufzucht besteht die Ernährung bis zu 15 % aus Fleisch.

Bei einer Untersuchung des Flugverhaltens bei Nacht wurden die GPS-Daten von 11 Bartgeiern in den spanischen Pyrenäen sowie Kameraaufzeichnungen von 88 Kadavern ausgewertet. 6 von 11 Individuen flogen 0,7-6,1 km in wenigstens 19 unterschiedlichen Nächten. 37 % der Flüge erfolgten, obwohl der Mond weniger als 20 % erleuchtet war. Es konnten allerdings keine nächtlichen Besuche an den Kadavern beobachtet werden, sondern maximal eine Stunde nach Sonnenaufgang oder vor Sonnenuntergang.

Untersuchungen in drei archäologischen Fundstellen im Südwesten Frankreichs zeigen, dass in der Steinzeit Geierknochen wie z. B. vom Bartgeier genutzt wurden. Spezielle Schnittmarkierungen an den Knochen lassen vermuten, dass die Geier nicht (nur) zum Verzehr getötet wurden.

Außerdem gab es noch einige weitere Studien, zu denen ich leider nicht schnell genug mitschreiben konnte.

Zu guter Letzt fasste José die wichtigsten Informationen des Webinares zusammen: Das Wiederansiedlungsprojekt des Bartgeiers in Europa ist eines der erfolgreichsten Wildtier-Comebacks aller Zeiten. Dieses großartige Projekt basiert auf motivierten, leidenschaftlichen Partnern und bildet die Visionen vieler Artenschützer ab. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Naturschutzprojekt, sondern um ein humanitäres und soziales Abenteuer mit tollen Ergebnissen sozialer, politischer, wirtschaftlicher und ökologischer Natur. Aus einem kleinen Projekt mit fest abgesteckten Grenzen hat sich über die Jahrzehnte ein Riesen-Projekt mit internationaler Tragweite entwickelt. Nicht zuletzt durch das IBM-Projekt werden mittlerweile Daten der unterschiedlichsten Teil-Projekte zusammengeführt und ein riesiges Netzwerk geschaffen. Auch weiterhin wird das Bartgeier-Projekt den Fokus auf ein intensives Brutprogramm legen, um möglichst viele Junggeier über Europa verteilt auswildern zu können und eine Verbindung der einzelnen Populationen zu schaffen. Außerdem wird die Strategie auch weiterhin auf unkalkulierbare Einflüsse wie Covid, West Nile Virus und den Klimawandel angepasst werden, um auch in Krisenzeiten den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Zudem wird weiter an der Bekämpfung der Hauptgefahren für Geier gearbeitet: Giftköder, Stromschlag, Kollisionen und Bleivergiftung.

Mittlerweile gibt es in den Alpen wieder 63 Bartgeier-Paare, von denen 53 brüten. In Andalusien sind es 7 Paare, von denen 3 brüten. Eine einst ausgestorbene Tierart konnte also tatsächlich wieder zurückgeholt werden und schafft es langsam aber sicher sich selber fortzupflanzen. Auch Grand Causses und Maestrazgo sind mittelfristig auf einem guten Wege. Ergänzt wird das Wiederansiedlungsprojekt in den nächsten 5 Jahren um den Balkan. Betrachten wir ganz Europa, so stieg die Population von 50 Paaren in den 80er-Jahren auf satt 250 Paare in 2020! Ein Wahnsinns-Comeback!!! So positiv sich der Bartgeier-Bestand in Europa entwickelt, so dramatischer sind die sinkenden Zahlen aus dem Himalaya und Südafrika. Hoffentlich kommen auch die dortigen Schutzprojekte gut in Schwung mit der nötigen Unterstützung der Regierung und der öffentlichen Bevölkerung.

Natürlich kam dieses 3-stündige Webinar nicht einer 3-tägigen Live-Konferenz gleich, wo man jede freie Minute zwischen den Vorträgen zum Netzwerken und Treffen guter Geierfreunde nutzen kann. Aber ich bin trotzdem sehr dankbar, dass das Meeting nicht komplett ausgefallen ist. Gerade in Zeiten, wo aus allen Richtungen nur negative Schlagzeilen prasseln, ist es tröstlich auch die ein oder andere Geier-Erfolgsgeschichte zu hören.

Wenn alles gut geht und Covid sich hoffentlich endlich wieder verzieht, wird das nächste Annual Bearded Vulture Meeting im November 2021 in Baronnies, Frankreich, stattfinden. Hoffentlich bin ich dann wieder mit von der Partie!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen